Auf den Spuren von Amorbidius: Rund um den Spittelberg
Die Liebe scheint wie eine Droge zu sein, auch wenn man nur der »Dealer« ist. Angezündelt von diesem Rausch nehme ich mir den samstäglichen Flohmarkt am Naschmarkt vor. Bis dahin werde ich amtsgeschäftlicher Misanthropie nachgehen, um die Vorgesetzten im Amt seit meinem kühnen Entschluss nicht stutzig zu machen. Routiniert stifte ich Familienstreitigkeiten. An Tagen wichtiger Bundesligaspiele sorge ich für Traumwetter, welches frischlufthungrige Ehefrauen in die Natur treibt und fußball- begeisterte Ehemänner vor den Fernseher fesselt, ausserdem lege ich Verkehrsmittel lahm und Dergleichen mehr. Dem vom Burnout geschwächten Amor eins auswischen zu können, ist mir Motivation genug! Den Nasch- und Flohmarkt zu überfliegen war mir bisher ein nie gekanntes Vergnügen. Denn der gut gelaunten Leute sind da sonder Zahl. Unter all den Vergnügten fällt mir ein potentielles Paar in die Augen! Da sitzt doch glatt eine süße Koreanerin auf einer Decke und bietet ihre offensichtlich nicht mehr genehme Designerware zum Kauf an. Ein blonder Jüngling, den sie offenbar schon von früher kannte, ist mit ihr in ein angeregtes Gespräch vertieft. Ich ziehe also Amors gemopste Pfeile und treffe die beiden auf Anhieb – Übung macht den Meister! Als ich mich anpirsche, bekomme ich mit, dass der junge Mann schon eine kurze Liaison mit einer Freundin der hübschen Asiatin hatte und man sich im Freihausviertel, in einem koreanischen Restaurant zu einem Schwatz über vergangene Zeiten verabreden wolle. »Gute Arbeit«, denke ich und beobachte mit Befriedigung, wie das junge Mädchen ihr Klumpert zusammenpackt, um den Flohmarkt Flohmarkt sein zu lassen. Ich flattere also ins Lokal, um für einen freien Tisch zu sorgen. Ein Reserviert-Schild auf einen Tisch zu stellen, wenn nachher keiner kommt, ist für einen Misanthropiebeamten eine leichte Fingerübung. Aber sie kamen ja. Über alte Zeiten wird qequatscht, das ehemalige Gspusi und dessen neues Leben in Pohang besprochen. Nach ein paar Flaschen Soju, einem koreanischen Reiswein, wird ein beschwingter Spaziergang über den nahegelegenen Spittelberg beschlossen, um sich wieder besser kennenzulernen und der Wirkung des berauschenden Getränks durch etwas frische Luft entgegen- zuwirken. Dass die beiden einmal heiraten werden, wissen zum jetzigen Zeitpunkt weder sie noch ich. ,Die Sache fängt jedenfalls gut an und der Spittelberg ist ein optimales Pflaster, um Liebschaften entstehen zu lassen oder bestehende zu vertiefen. Die animierte Stimmung lässt auf einen weiteren Erfolg hoffen. Ich bin gespannt, was sich aus der Geschichte entwickelt! TRACKVERLAUF Ich folge also dem beschwingten Paar, Mi-Song und Marcel, auf ihrem Weg. Schließlich will ich wissen, ob meine Pfeile auch hier Wirkung zeigen, oder ob die ersten Erfolge reine Zufälle waren. Sie besteigen die U2 am Karlsplatz und verlassen diese bei der Station Museumsquartier. Nach einer kleinen Pause auf einem der freien »Enzos« verlassen sie das Museumsquartier an der Rückseite und gehen die Siebensterngasse entlang, um kurz darauf in die Spittelberggasse einzubiegen. Gut gemacht! Denn die wunderschön renovierten Häuser dieses Biedermeierviertels üben einen ganz beson- deren Reiz aus, der in Wien wohl einzig- artig ist. Gemeinsam lassen sich die liebe- vollen Details dieser Baujuwele wohl am besten entdecken. Mi-Song und Marcel gehen über die Spittelberggasse in die Burggasse weiter stadtauswärts, um auf Nr. 71 am »Ateliertheater« vorbeizumarschieren. Links geht’s in die Hermanngasse, wo man auf einen Bussipoint für Wagemutige stößt. In der Hermanngasse befindet sich nämlich eine der letzten öffentlichen Badeanstalten Wiens (Hermannbad). Mit Brausebad und Saunabetrieb! Probiert es aus, ihr seid immerhin Urbs! Am Amtshaus lässt sich auch ablesen, dass der 7. ein »Klimabündnis- und Fairtrade-Bezirk« ist – löblich, wie ich finde! Die beiden biegen links in die Westbahnstraße ein, um rechts in die Neubaugasse zu gelangen; mit all den teils skurrilen Geschäften, vom India-Shop bis zur altbackenen Konfiserie ist hier alles zu finden. Auch schicke Schuh-, Kleider- und sonstige feine Läden, die keine Allerweltsware anbieten, sind für Kauflustige ein attraktiver Anziehungspunkt. Aber fürs Shopping fehlt unserem verliebten Paar heute Sinn und Auge. Stattdessen biegen sie gleich wieder links in die leicht bizarre, aber sehenswerte Mondscheingasse ein. Dieser folgen die zwei in die Zollergasse mit ihren netten Cafés und schrägen Modegeschäften. Eine Einkaufsstraße für Paare, die sich gerne ein wenig abseits der Normen bewegen. Danach erreichen Mi-Song und Marcel die Mariahilfer Kirche, in deren Gewölben die sogenannte »Gruft« untergebracht ist – eine Hilfsorganisation für Obdachlose, die für jede Unterstützung dankbar ist. Wer Herzlichkeit zeigt, kommt bei der/m Liebsten besonders gut an! Die reizvolle Barnabitengasse hinunterschlendernd, biegt die hübsche Asiatin mit ihrem Begleiter in die Windmühlgasse ein, um der Jugendstiltreppe folgend durch die Stiegengasse zum Naschmarkt zu gehen. Dort werden noch einige asiatische Köstlichkeiten eingekauft, denn Mi-Song lädt Marcel zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Mit voll gepackten Einkaufssäcken überqueren die zwei Frischverliebten die Linke Wienzeile, um am Theater an der Wien in die Lehargasse einzubiegen. An Sommertagen kann man hier durch die offenen Fenster SchauspielerInnen beim Schminken oder bei den Kostümproben zusehen. Weiter geht’s, um einen Blick in die beeindruckenden Hallen des Semperdepots zu werfen, welches heute zur Akademie der Bildenden Künste gehört. Von dort führt unser Track über die Gumpendorferstraße und die Rahlgasse zurück zur U2, einem vielversprechenden Kochereignis entgegen. HIER KÜSST MAN SICH Der Spittelberg im 7. Bezirk war ja nicht immer das, was er heute ist: Eine beliebte Wohngegend, die sich durch die vielen wunderschön renovierten Biedermeierhäuser, romantisch engen Gässchen und kleinen Lokalen mit gemütlichen Gastgärten ihren ursprünglich dörflichen Charakter erhalten konnte. Dabei ist diese Gegend erst seit Kurzem das bürgerliche Idyll, das es heute zu sein scheint. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Viertel unter einem eher zweifelhaften Ruf zu leiden. Denn im 16. Jahrhundert kam Ferdinand I. aus dem prüden Spanien nach Wien und ließ kurzerhand das Bordellwesen verbieten. Aber da Verbote bekanntlich dazu dienen, umgangen zu werden, schlossen sich die plötzlich ungeschützten Prostituierten in sogenannten »Arbeitsgemeinschaften« zusammen. Die Hübscheste machte an einer Straßenecke unauffällig einem Freier schöne Augen, eine andere brachte den Interessierten in ihre Wohnung, wo der zahlungswillige Galan selten die Hübsche von der Straße vorfand. Pech gehabt! Aber auch heute noch hat der Spittelberg seine, wenn auch nicht so verruchten, Reize. Den romantischen Brunnen in der Spittelberggasse empfehle ich euch deshalb als einen vorzüglichen Ort zum Austausch von Zärtlichkeiten. ABENTEUER IM TRÖPFERLBAD Ein eher ungewöhnlicher Trackpoint auf unserer Reise durchs alte Wien ist das Hermannbad in der Hermanngasse 7. Hierbei handelt es sich um eine der letzten öffentlichen Badeanstalten Wiens. Eines der berühmten »Tröpferlbäder«, wie es sie in früheren Zeiten, als noch nicht jede Wohnung über ein eigenes Bad verfügte, in Wien allerorten gab. Der Begriff »Tröperlbad« kam übrigens auf, da bei starkem Besucherandrang Engpässe in der Wasserversorgung entstanden, und das Wasser aus den Brausen nicht mehr in Strömen floss, sondern eben nur noch tröpfelte. Und weil es eine gemeinsame Garderobe gab und die Duschen offen waren, mussten alle Nutzer eine sogenannte Badeschürze tragen, um den »Anstand« zu wahren. Ein Anstand, der aber bekannterweise, nicht immer zu wahren war. Die Abenteuerlustigen unter euch sollten es also nicht versäumen, diesen Ort aufzusuchen. Wienerischer geht’s wohl kaum Und dass Amor auch schon vor meinem Wirken dort das eine oder andere Liebesverhältnis gestiftet hat, versteht sich an einem solchen Ort, wo viele nackte Menschen zusammenkommen aufs Selbstverständlichste. Wer also nicht »fad« ist und einmal etwas ganz anderes erleben möchte, sollte sich dieses Juwel alter Wiener Badekultur nicht entgehen lassen! Ich werde dort jedenfalls wieder einmal mit einem Köcher voller Pfeile vorbeifliegen, denn »Anstand« ist uns selbsternannten Liebesengerln ein Dorn im Auge – Tröpferlbad rocks! ZUFLUCHTSORT FÜR HEIMATLOSE Am Anfang der hübschen Barnabitengasse mit ihren zahlreichen Lokalen und sommerlichen Schanigärten befindet sich die malerische Mariahilfer Kirche, in deren Kellergewölben die sogenannte »Gruft« untergebracht ist. Wie der Name schon sagt, handelt es sich dabei um einen Platz, der ursprünglich nicht für die Lebenden gedacht war. Doch das hat sich geändert: Seit dem Advent 1986 ist die »Gruft« ein Ort, an dem reges Leben herrscht. Sie ist zu einem Zufluchtsort für heimatlose Menschen und für viele zum einzigen Fixpunkt in ihrem Leben geworden. Liebe hat auch viel mit Respekt zu tun. Und wer den weniger glücklichen Menschen unserer Gesellschaft Respekt und Hilfe zukommen lassen will, kann das unter www.gruft.at ganz unkompliziert tun und den Leuten dort damit eine kleine Freude machen. OZEAN IM KRIEGSDENKMAL Die Flaktürme sind eine architektonische Besonderheit Wiens. Diese Monumente des Schreckens haben über die Jahrzehnte nicht nur die Erinnerung an gottlob vergangene Zeiten wachgehalten, sondern sind auch zu einer Wiener Institution geworden, um und in denen sich Leben entwickelt hat. Noch immer hochoffiziell der Wiener Misanthropie verpflichtet, komme ich an so einem Ort natürlich nicht vorbei, ohne einen Blick hinein zu werfen! Der Flakturm in der Gumpendorferstraße hat es mir besonders angetan. Das »Haus des Meeres« ist ein gelungenes Projekt, diesem erschreckenden Betonmonument Leben einzuhauchen. Neben allerhand Meeresgetier, das es dort zu bestaunen gibt, ist das Tropenhaus und der Krokipark mit seinen frei fliegenden Vögeln und herumlaufenden Äffchen, die sich völlig furchtlos und frech an die Besucher heranwagen, eine besondere Attraktion – Entzückendst! Ein Ort, der auch im Winter tropische Wärme verbreitet, trägt man sie nicht ohnehin bereits im Herzen! Wer sich für die Tiere nicht interessiert – was schade wäre – kann mit dem Lift direkt zur Aussichtsplattform fahren. Von dort lässt sich ein traumhafter Blick über die Stadt genießen. Was ihr da oben noch genießt, bleibt völlig eurer Fantasie überlassen! Ein Track aus dem Buch BUSSI BUSSI Autor: Fred Stampach Comments are closed.
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