Ich tue mir schwer beim Kartenlesen und bevor das Navi erfunden wurde, führten mich Landkarten mitunter an interessante Orte, aber nur selten ans gewünschte Ziel. Ich musste sie drehen und wenden, da mein unterentwickeltes Gehirn nicht in der Lage ist, bei einfacher Haltung dieser papierenen Wegweiser links von rechts, oben von unten oder gar die Himmelsrichtungen zielführend zu interpretieren. Nach dem Weg zu fragen, ist vielleicht Frauen möglich, derart unmännliches Verhalten verbieten mir aber sowohl Stolz als auch Grundsätzliches, das irgendwo in unserem Y-Chromosom verborgen ist.
Wir tun das einfach nicht und irren stattdessen lieber ziel- und ahnungslos durch Straßen sowie durch Wald und Flur. Und die Erfahrung gibt uns Recht: Noch immer haben wir unser Ziel erreicht! Um- und Abwegen, Kinder- und Frauengemaule im Ohr; Zank ,Hader und Scheidungsdrohungen, können einen echten Mann nicht dazu bringen, totale Unwissenheit über derzeitigen Standort, Weg und Ziel zuzugeben. Niemals! Denn es gilt, das Gesicht auch in ausweglos erscheinenden Situationen zu wahren. Nach einem Weg zu fragen, ist ähnlich unmännlich, wie in Gebrauchsanweisungen zu lesen. Selbst von Birkenstockschlapfenträgern mit selbstgestricktem Pulli, die sonst zu jeglichem Eingeständnis, ihrer gefühlsbetonten und weiblichen Seiten stundenlange Sermone zu halten in der Lage sind, ist von einer Wegbefragung nichts überliefert. Diesbezüglich sind wir alle Machos! Und so gehen und fahren wir im Kreise, jedesmal entzückt beim Anblick des lieblichen Kirchleins, des blumengeschmückten Bauernhauses, oder des faszinierenden Steines, den wir unseren entnervten Begleitern unbedingt noch einmal zeigen wollten, bevor es dann dem eigentlichen Ziele zuzustreben gilt. Kirche, Stein und Bauernhaus, die ewig gleiche Tankstelle, wir werden ihnen auf unserem zielgerichteten Weg noch öfter begegnen. Macht aber nichts, denn das große Ziel liegt unverrückbar vor unserem inneren Auge und irgendwann erreichen wir es dann. Denn der männliche Orientierungssinn gehört zum Untrüglichsten in dieser unsteten Welt – auf ihn können wir uns zu 100% verlassen. Wer dennoch leichte Zweifel an meinen, aus dem Brustton der Überzeugung vorgetragenen Ausführungen hat, könnte sich natürlich auch eines nicht unpraktischen Tools bedienen. Um nämlich, ähnlich begabten Pfadfindern wie mir, die WildUrbschen Trackverläufe einfacher zu gestalten, wurde nun eine feine Web - App entwickelt, die es selbst mir unmöglich macht, mich auf meinen Fußmärschen zu verlaufen. Und der große Vorteil: kein Jota Männlichkeit geht dabei verloren, da niemand befragt werden muss und Kompetenzzweifel à la „Oida, der hat keine Ahnung, wo wir sind“ erst gar nicht aufkommen. „Er hat alles im Griff“ wird man stattessen anerkennend raunen. Keinerlei Zweifel eurer Ortskundigkeit und Führungspersönlickeit sollten mehr aufkommen. Das System ist denkbar einfach: Entweder ihr macht euch diesen QR.Code zunutze oder geht auf www.wildurb.at/urbmap oder ganz einfach www.urbmap.at und schon habt ihr alle Bücher und die jeweiligen Tracks auf eurem Android oder Apple Smartphone gebunkert. Track aussuchen und die Karte zeigt euch an, wo ihr euch gerade befindet und wo’s langgehen soll. Praktische Sache, denn wer nicht immer die ganze WildUrb Bibliothek, mit sich herumtragen will, immerhin sind es schon 4 Bücher, und sich spontan zu einer kleinen Wanderung entschließt, kann hier aus dem kompletten Fundus des geherischen Erfahrungsschatzes der Community schöpfen. Probiert sie aus, einfacher geht’s wirklich nicht! Man kann es wohl als menschliches Versagen betrachten, daß ich eine Stunde zu früh im „Café Leopold“ war. Verdammte Zeitumstellung! Naja, macht nix. So konnte ich wenigstens noch einmal im Geiste die Route durchgehen. An einem Ostersonntag haben ja die meisten Lokale geschlossen und ich wollte sicher gehen, daß wir auch genügend Seidl finden würden.
Zur Erklärung: Da ich keine Schokolade mag und mir auch aus Eiern nicht viel mache, gehe ich seit ein paar Jahren Seidl statt Eier suchen, zusammen mit ein paar Freunden. Im Wort Seidl ist ja auch ein „ei“, wenn auch nur ein kleines. Das Oster-Seidl-Suchen ist keine Seidl-Tour im klassischen Sinne. Ich starte jedes Jahr in einem anderen Lokal mit einem Brunch und ende immer in meinem Stammlokal. Des Weiteren ist es auch kein „Komasaufen“, sondern ein Spaziergang mit Bierkonsum. Quasi eine mobile Party. Die Regeln sind einfach: Wir gehen eine vorher bestimmte Strecke ab und trinken überall, wo wir vorbeikommen und es Fassbier gibt, ein Seidl. Egal ob das ein Würstelstand ist oder die Bar eines Hotels. Aber nun zu meinem Bericht über die Oster-Seidl-Suche 2013. Ich hatte für 15 Personen reserviert. Sechs kleine Kaffeehaustische standen in einer langen Reihe. Pünktlich war nur ich, der Rest kam tröpferlweise eingetrudelt bzw. gar nicht. Ich hatte mit wetterbedingten Ausfällen gerechnet. Aber dass mich gleich zehn Leute hängen ließen, war schwer zu verkraften. Als ich nach einer halben Stunde zwei Tische wieder freigeben wollte, meinte der Kellner, er bräuchte sie im Moment noch nicht und es wird sicher noch jemand kommen. War ja schließlich Zeitumstellung und die Hoffnung stirbt zuletzt. Eine weitere halbe Stunde später, kamen immer mehr Gäste die sich suchend nach freien Tischen umsahen. Wer mich eine Stunde lang warten lässt, soll sehen wo er bleibt. Also gab ich vier der sechs reservierten Tische wieder her und wir machten uns an den Brunch. Mir war zwar der Appetit vergangen, aber ich musste ja für eine anständige Unterlage sorgen. Das Englische Frühstück war ganz ausgezeichnet, Blunzn am Morgen hatte ich noch nie und die Kresse auf den „Baked Beans“ war mal etwas erfrischend anderes. Auch das Frühstück meiner ersten Mitsuchenden war keine Herausforderung an die Küche. Laktoseintoleranz? Kein Problem! Käse wurde gegen Schafkäse getauscht und Butter gegen Humus. Alle waren zufrieden und mein Zorn beinahe verraucht. Als dann auch die letzten Nachzügler fertig waren, wollten wir unseren ersten Stempel holen. Wir wollten von jedem Lokal einen Stempel sammeln und am Ende der Suche die Sammlung in unserem Stammlokal aufhängen. Aus Erfahrung weiß ich, daß Wirte ihre Stempel nur ungern auf leere Seiten stempeln, aber auch das war kein Problem. Der Kellner war sogar sehr interessiert und ich glaube fast, er wollte mit uns mitkommen. Die ersten Seidl wurden bestellt, getrunken, bezahlt und das war der Startschuss für unsere Tour. Wir gingen raus, links die Stufen hinauf und hintenherum in die Breite Gasse. Das „Glacis Beisl“ war die nächste Station. Ich hatte extra eine eigene Geldbörse mitgenommen und sammelte erstmal von jedem 10 Euro ein (meinen Zehner gab ich natürlich dazu). Um Verwirrung zu vermeiden ist es ratsam, wenn einer bestellt und bezahlt, als jeder für sich. Das Bier im Glacis Beisl war keine Offenbarung. An sich ist es ja Geschmackssache, aber wir fünf waren uns einig. Besonders als wir den Nachgeschmack auf dem Weg zur nächsten Station noch immer im Mund hatten und € 3,30 für 0,3l Bier nicht wenig sind. Immerhin haben wir hier auch einen Stempel bekommen und der Kellner hat sogar ein Foto von uns gemacht. Das einzige auf dem wir alle zusammen drauf sind. Wir gingen die Siebensterngasse stadtauswärts und kamen schon bald an ein geöffnetes Lokal. Das „Kulin“ hatte Sonntagsbrunch, weswegen wir nicht rauchen durften. Dem einen Nichtraucher unter uns war es nur Recht und uns Rauchern war es egal. Für die Dauer eines Seidls nicht zu rauchen sollte auch für Kettenraucher machbar sein. Dann der Schock! Das Bier schmeckte auch irgendwie komisch! Lag es am Nachgeschmack des vorigen Bieres? An der Tageszeit? Drohte gar der Abbruch der Suche? Derweil wir uns nett unterhielten, wurde auch das Bier besser. Wie der Hunger mit dem essen, kommt auch der Durst mit dem trinken. Die Bitte um einen Stempel wurde uns hier zwar verwehrt, aber man brachte uns eine Visitenkarte. Nachdem wir ausgetrunken hatten zahlte ich und konnte erfreulicher Weise feststellen, daß das Bier mit € 2,80 deutlich günstiger war. Die nächste Station war das „Centimeter II“ am Spittelberg. Jede Menge Fassbiere zur Auswahl, die auch hier „nur“ 2,80 kosteten. Wir hatten einen kleinen Stehtisch gleich an der Bar und machten es uns gemütlich. Nachdem ich bezahlt hatte, war die Gemeinschaftskasse erschöpft und wir legten jeder wieder einen Zehner dazu. Vom Centimeter aus gingen wir die Siebensterngasse weiter und der Wind trieb uns den Schneeregen in die Gesichter. Perfektes Wetter für eine Seidl-Tour. Man ist ständig im Warmen und erliegt nicht der Versuchung im Schanigarten picken zu bleiben! So trotteten wir weiter bis uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite das „Siebensternbräu“ einladend erschien. Zum Raucherbereich, der sehr klein war, mussten wir durchs ganze Lokal und durch den Wintergarten. Wir rechneten mit dem Schlimmsten, nämlich dort hinten vergessen zu werden, aber der Kellner war auf Zack. Als neugieriger URB probierte ich das Hauseigene „Rauchbier extrem“, welches mir torfigen Geschmack und eine Sinlge Malt-Note versprach. Genau das Richtige für einen Whisky-Liebhaber wie mich! Der erste Schluck war sehr gewöhnungsbedürftig, der zweite machte Lust auf mehr. Nach dem dritten Schluck bekam ich die Brühe nicht mehr die Kehle runter. Unvorstellbar – ich, der gestandene Biertrinker – war die erste Schwachstelle des Tages! Aber weiter im Text. Dem Wunsch nach einem Stempel wurde entsprochen und wir zogen von dannen. Ein Stückchen weiter die Gasse hinauf erwartete uns das „Schilling“. Wieder ein Nichtraucher-Lokal, dafür sehr schön in der Einrichtung mit einer sehr freundlichen Kellnerin und, laut Angaben eines Mitsuchenden, den schönsten und saubersten Toiletten, die er je gesehen hat. Das Bier war auch frisch und wir werden das Schilling in guter Erinnerung behalten. Die Kirchengasse hinunter gehend kamen wir zum „Köö“, wo die Mädls auch noch Billard spielen wollten. Sie ließen sich aber überzeugen, daß die Dauer eines Seidls zu kurz für eine ordentliche Partie ist und wir zudem noch eine ungerade Zahl an Suchenden waren. Die Seidl waren schnell getrunken, der Stempel geholt und die Kasse wurde wieder nachgefüllt. Weiter gings. Das „Morgenstern“ am St. Ulrichsplatz hatte leider zu, dafür war das „Café Nepomuk“ geöffnet. Drei von uns machten die Vorhut, zwei gingen Zigaretten holen. Als wir fünf Seidl für drei Personen bestellten, ernteten wir fragende Blicke doch konnten wir uns erklären, worauf uns der Wirt beinahe enthusiastisch den Stempel in unsere Sammlung drückte. Das Ambiente im Nepomuk ist urig-gemütlich, der Chef sehr nett und wir werden uns auf jeden Fall wiedersehen. Was jetzt kam war eine richtige Durststrecke! Ich kam in das fragwürdige Vergnügen, die Kellermanngasse doch noch hinauf keuchen zu müssen (Wer meinen Beitrag über die Ampeln gelesen hat, weiß, daß ich da nicht unbedingt hoch wollte) und bis zur Piaristenkirche waren alle Lokale geschlossen. In der Pizzeria „Il Sestante“ bekamen wir dann endlich wieder ein Seidl und konnten uns auch mit einer Pizza stärken. Wenn man eine Pizza für fünf überhaupt als Stärkung betrachten darf. Wir wollten jedoch keine Zeit verlieren und bestellten gleich beim Pizzabäcker, als den bürokratischen Weg über den Kellner zu gehen und siehe da, wir bekamen die Pizza bereits nach wenigen Minuten. Ich habe einige Jahre gleich ums Eck gewohnt und darf behaupten, daß sie die besten Pizze ausserhalb Italiens haben. Allerdings keinen Stempel. Gleich gegenüber ist das „Maria Treu“, ein schönes, traditionelles Kaffeehaus. Wir ließen uns im Raucherbereich nieder und bekamen unseren Stempel gleich mit den Seidl. Wie ich nicht anders erwartet hatte, änderten sich im Laufe unserer Suche auch die Gesprächsthemen. Während der Alkoholpegel stieg, sank das Niveau. Es war dennoch sehr lustig und wann sonst kann man sich ungezwungen über die Fähigkeit zum vaginalen Orgasmus oder den Unterschied zwischen Blut- und Fleischpenissen austauschen, wenn nicht leicht beschickert nach ein paar Bieren? Da wir die zwei Mädls mithatten, wurde das Niveau soweit stabilisiert, das wir die Themen auf einer eher sachlichen Ebene angingen und auch auf die Ausdrucksweise achteten. Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für die beiden brechen. Großartig mitgehalten, auch was die Trinkgeschwindigkeit betrifft. Ich hatte Anfangs die Befürchtung längere Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen, aber ich habe mich geirrt und wurde eines Besseren belehrt. Wir hatten alle in etwa den gleichen Zug drauf, danke! Vom Maria Treu aus ging es weiter in den „Piaristenkeller“. Dort wurden wir angesehen wie etwas, das die Katze von draußen hereingebracht hat. Also wieder raus mit uns, wir müssen uns ja nicht anbiedern. Auf unserem weiteren Weg kamen wir an einem italienischen Ristorante vorbei, in dem vor einigen Jahren ein bereits verstorbener, rechtspopulistischer Politiker vor Übergriffen des Pöbels geschützt wurde und es entbrannte ein Streit zwischen den Mädls. Da fiel mir ein, daß ich in meinem Zorn beim Brunch vergessen hatte, die wichtigste Regel der Suche zu erläutern: No politics, no religion! Echt Leute, macht das nicht! Politik und Alkohol vertragen sich nicht und es gibt eben so viele Meinungen wie Diskutierende. Wenn ihr Freunde bleiben wollt, lasst es fürs Erste und diskutiert es zu einem späteren Zeitpunkt nüchtern und in Ruhe aus. Nachdem der Streit recht schnell beendet war gingen wir weiter, bogen in die Lederergasse ein und kamen zum „Café Zeit“. Miro, der Pächter, war sehr erfreut uns zu sehen. Wir kennen uns schon etwas länger und so kam zum Seidl gleich ein Slivovic. Ob er uns damit einen Gefallen getan hat, sei jetzt einmal dahingestellt. In die SpielBar, die ich seit ein paar Jahren regelmäßig aufsuche, gingen wir als nächstes. Dort waren einige bekannte Gesichter und ich konnte sogar noch zwei Mitstreiter für nächstes Jahr gewinnen. Ich bin Optimist und hoffe, daß sich dadurch nicht auch die Zahl derer, die mich versetzen, erhöht. Zum Seidl holten wir uns auch den zehnten Stempel im zwölften Beisl. Die Laudongasse hinunter kamen wir an zwei japanischen Restaurants vorbei, die jedoch leider geschlossen hatten, und erreichten unser Ziel: Das „Brot & Spiele“. Dieses Lokal ist seit nunmehr zehn Jahren mein Stammlokal. Obwohl ich ein Bierversuchsgegner bin, musste ich mein Seidl mit etwas Zitronensaft verbessern, denn das Bier, das nach einem Wiener Bezirk benannt ist, zählt nicht zu meinen Favoriten (nein, nicht dieser Bezirk). Daß wir dort einen Stempel bekamen, versteht sich von selbst. Zusammenfassend kann ich sagen, daß es ein guter Tag war. Um 13:00 Uhr losgezogen, bis 20:00 Uhr 13 Seidl gefunden (soviel wie im letzten Jahr), viel gelacht und Spaß gehabt, trotz des eher bescheidenen Wetters. Der Abend ist dann noch etwas länger und auch turbulenter geworden, aber das ist eine andere Geschichte. Die Sammlung der Stempel und Visitenkarten ist im Brot & Spiele zu bewundern, vielleicht stehe ich auch gleich daneben und kann die eine oder andere Anekdote erzählen. Es ist der pure Zufall, der die URBs diesen ersten seit langem sonnigen Nachmittag auf das Nordbahnhofgelände verschlägt und in Folge dessen, in blankes Staunen versetzt. So etwas gibt es tatsächlich mitten in Wien, also mitten ist vielleicht etwas übertrieben... Gut, so etwas gibt es also TATSÄCHLICH in Wien! Ein riesiges Gelände, das mittlerweile schon recht gut zugebaut ist, aber doch auch jetzt noch erahnen lässt, wie groß es ursprünglich gewesen sein muss. Zumindest der Teil, der immer noch eine Gstättn, beziehungsweise schon fertig zur weiteren Verbauung planiert ist. Konkret befinden wir uns im 2., an der Grenze zum 20. Bezirk, am Nordbahnhofgelände.
Ein kurzer geschichtlicher Abriss zum besseren Verständnis >> 1839 entsteht der erste Nordbahnhof und dient hauptsächlich dazu Menschen und Güter nach Tschechien und Polen zu bringen. Ein zweiter, 1865 errichteter, prunkvoll anzusehender Bahnhof überlebt bis zum zweiten Weltkrieg, danach hat die Stadt kein Interesse mehr die Bombenschäden zu restaurieren, obwohl es kein großer Aufwand gewesen wäre, und sprengt ihn 1965 - 100 Jahre nach seiner Fertigstellung - endgültig. Das Gelände grundelte eine Zeit lang vor sich hin, bis die Bahn und private Firmen die 30 ha große Fläche bespielen. Hauptsächlich wird das Gebiet als Kohlenumschlagplatz verwendet. Erst Mitte der 90iger Jahre zwingt die Wiener Wohnungsknappheit zu neuen Plänen für das Nordbahnhofgelände. Es wird schlussendlich an die Stadt Wien verkauft. Was zaghaft begonnen hat und sicher weitere 15 Jahre brauchte um zu gedeihen, lässt sich mittlerweile sehen. Mit offenem Mund, wohlgemerkt. Ein bunter Strauß an Genossenschafts- und Mietbauten in allen Variationen und Vorstellungsmöglichkeiten die moderne Architektur heute zu bieten hat. Begeistert ziehen die Blicke von Balkon zu Balkon, in diesem Grätzel ist wirklich jede Stilrichtung und Größe zu finden. Die URBs würden eindeutig den großen Balkonen – auf denen sich ein Leben mit Frühstücksmöglichkeiten im Freien ausgeht - den Vorzug geben. Vielleicht würden wir dann wie im Film dieZweisitzrakete ganz frech von oben mit gatschigen Tomaten oder faulen Eiern werfen. Oder vielleicht würden wir auch nur davon träumen. Bewohner dürfen aus bunten Plexiglaskuben auf den dazwischen liegenden Rudolf-Bednar-Park blicken, der an allen Ecken und Enden herausputzt und gelobt wird. Schöne neue Welt. Oder etwa nicht? Die Bäume sind noch jung, sie geben daher im Sommer kaum Schatten und dazu findet man dieses sonderbare Schilf, das so aussieht, als ob es sich dort noch so gar nicht wohlfühlen würde. Kindertage einer Gegend. Erfreulich sind die unverbauten Teile des Areals. Hier glühen die Kameras. Hier biegen sich die Smartphoneobjektive. Ein Paradies für jeden Instagramhobbygrafen und Profifotografisten. Es gilt ja, bald für immer dahingegangenes für die Nachwelt festzuhalten. In echt oder gefotoshopt. Wen kümmert das schon? Aber nicht nur wir, viele wilde WienerInnen sind hier unterwegs, und nur ein geringer Prozentsatz davon hat einen Vierbeiner mit dabei. Bizarre Baumformationen, zusammengeschnitten, Lagerhäuserreste, Kohlenschüttgruben - erkennbar an den noch stehenden Trennwänden, Unterführungen, Graffitis und visuelle Kostbarkeiten aller Art. Hinter jeder Biegung, jedem Tunnel, jeder Brücke, jedem Damm eröffnen sich neue Perspektiven. Immer Unerwartetes. Immer eine Quelle der Kreativität unter dem Horizont. Und – Gleise, Gleise, Gleise. Gleise die im Nichts enden. Weichen, Kreuzungen, die ins Nirgendwo führen. Nicht enden wollend, in teilweise fußbrecherischer Weise begehbar. So wie vieles von den Auf und Ab´s hier. In der Vorgartenstraße befinden sich die Denkmal geschützten Autobusgaragen, vermietet an einen Supermarktdiskonter. Die Straßenbahnremise, als Eventlocation, ist geblieben. Der Wasserturm, jetzt noch Teil der Gstättn, soll auf jeden Fall bleiben, die Grünen schlagen ihn als kommunikatives Stadtteilzentrum vor. Was, wenn jede Gstättn der Besiedelung zum Opfer fällt? Ziemlich unurbig, finden die URBs. Aber wohin mit den vielen Menschen, wenn es keine ausbaubaren und vor allem leistbaren Dachböden mehr gibt? Laut Stadtentwicklungsplan soll bis 2030 das ganze Gelände verbaut sein. Gerade deswegen ist es empfehlenswert, JETZT einen Spaziergang hierher einzuplanen. Denn wer weiß, wie lange das noch GEHT. Die wunderbaren Fotos wurden uns zur Verfügung gestellt von © by www.alexhalada.com Vielen Dank! Text: E. Ruthner Ich mag Friedhöfe. Das ist nicht alleine meinem leicht morbiden Charakter geschuldet, nein, sie üben seit Kindertagen eine eigenwillige Faszination auf mich aus, der ich mich bis heute nicht entziehen kann. Ich gehe von zeit zu zeit ganz gerne und da mir das Zusammentreffen mit wochenendlich grotesk gekleideten Nordic Walkern und schwatzenden Wandervögeln ein Graus ist, suche ich an diesen Tagen gerne den einen oder anderen Friedhof auf. Denn da ist bis auf ein paar ruhige, meist ätere Herr- und Damschaften unter Garantie niemand anzutreffen, der mich in meinem schweigsamen Tun stören könnte.
Der Döblinger Friedhof ist mir da ein liebes Ziel, denn anders als am Zentralfriedhof, der ja an Schönheit in Wien kaum zu überbieten ist, handelt es sich hier um einen eher unspektakulären, aber dennoch nicht weniger reizvollen Ort. Er ist mir gut bekannt, da der Großteil meiner Familie dort unter der Erde liegt und ich diesen Gottesacker an den üblichen Tagen abstrus pflichtbewussten Ahnenkultes im Laufe der Jahrzehnte mehr als oft besuchen musste. Diese Tage waren mir verhasst, denn „müssen“ ohne rechten Sinn dahinter Erkennen zu können, ist bei mir so eine Sache. Mit Horden ebenfalls Pflichtgedenkender über einen meist unangenehm windigen und kalten Friedhof zu latschen, um an den Gräbern mir in meiner Kindheit völlig unbekannten Personen auszuharren, bis Lichter entzündet und Kränze abgelegt waren, empfand ich als absolute Zumutung. Und da mich die mir völlig unbekannten Ahnen nicht im geringsten interessierten, interessierte ich mich für die anderen Gräber, die ich, wie die der verblichenen Anverwandten nicht schon zig mal gelangweilt angestarrt hatte. Da war z.B. die übernächste Ruhestädte eines am 12. Februar 1934 erschossenen Schutzbündlers, welches mein Interesse weckte. Es war anders als die anderen Gräber. Nicht mit meist scheußlichen Kränzen vollgeräumt und auch kein Kreuz zierte den mit Efeu bewachsenen Felsbrocken der dort stand, sondern Plaketten mit roten Nelken und einem Kreis mit drei nach links unten gerichteten Pfeilen. Dieser Ruhestätte eines offenbar wenig gottesfürchtigen Mannes, war wie die anderen liebevoll gepflegt, aber eben anders. Ich war damals vielleicht 5 oder 6 Jahre alt, und kannte die geschichtlichen Hintergründe nicht, aber mein Vater erklärte sie mir auf mein Fragen und plötzlich begann mich dieser langweilige Ort zu interessieren. Hinter all diesen Toten steckten Geschichten! Andere als die, die ich über meine verstorbenen Ahnen bereits hunderte Male gehört hatte. Und seither schritt ich zwar immer noch wenig begeistert, aber doch mit etwas mehr Aufmerksamkeit durch die Gräberzeilen. Mein Vater ist ein mir wenig sympathischer, aber kluger Mann und er wusste zu vielen Grabstätten Geschichten zu erzählen und irgendwann begann ich an ruhigen und wenig besuchten Tagen solche Orte selbst aufzusuchen. Gehend und betrachtend, Namen lesend und aus der Gestaltung und den Inschriften auf den Grabsteinen Geschichten zu erahnen. Meist unmöglich selbstverständlich, doch manchmal finden sich wahre Kleinode liebevollen Gedenkens. Und dann stelle ich mich davor und betrachte diese schönen, oft schon verfallenen Stätten letzter Ruhe. Ich selbst möchte ja niemals eingesargt und eingegraben werden. Mir schwebt da anderes vor: In einen gläsernen Sarg soll man mich stecken und in irgendeinen Fluss werfen, an dessen Ende ich als morbide Flaschenpost, den Strömungen der Meere folgend, irgendwann an ein entferntes Gestade gespült, man mir, dem Unbekannten, eine Pyramide errichten soll, in der mein getriebener Geist vielleicht endlich ewige Ruhe finden wird. „Or I may simply be a single drop of rain But I will remain And I'll be back again, and again and again and again and again...“, wie einst Johnny Cash gesungen hat. Auch das wäre eine durchaus akzeptable und elegante Lösung für eine Sache, die mich früher oder später, uns alle ereilen wird. Text und Bilder: F. Stampach Gehen ist eine feine Sache und kein Weg sollte zu weit sein, um ihn nicht zu Fuß zurückzulegen. Dennoch gebieten es allfälliger Zeitmangel, Gebrechlichkeit oder schlicht schändliche Faulheit bisweilen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.
Ich bin ein Büßer, müsst ihr wissen, und so sind die vorösterlichen Tage des Fastens, der Selbstbezichtigung und des selbstauferlegten Leidens für mich die schönste Zeit des Jahres. Schon am frühesten Morgen steige ich hinab in meine private Krypta, um mir mit Flagellum und festgezurrtem Schmerzensgurt süß erlösende Pein zuzufügen, denn nach den frühmorgendlichen Bußübungen fühlt sich der arme Sünder erst so richtig entspannt. Derartiges ist allerdings nur eine kleine Vorfreude auf die süßen Qualen die da erst kommen mögen! Denn mit vom Flagellum blutig gegeißeltem Rücken, den Bußgürtel bis zum Anschlage festgezurrt, nur mit Sack und Asche bekleidet, begibt sich der wahre Asket bloßen Fußes durch den Schneematsch wandelnd der U6 Station entgegen. Denn hier beginnt der wahre Spaß erst wirklich! Ich könnte natürlich auch die U4 benützen, was wesentlich angenehmer und auch der praktischere Weg für mich wäre, aber im fastenzeitlichen Drange, um Vergebung für all die begangenen Sünden des restlichen Jahres Abbitte zu tun, ist dem wahren Asketen keine Entbehrung zu groß, um sich ein paar Jahrtausende Fegefeuer zu ersparen. Kaum den Zug bestiegen, beginnen Leid und Elend in dessen Innerem auch schon ihre segensreiche Wirkung auf die um Vergebung lechzende Seele des Bußfertigen zu übertragen und aus dem dreckverschmierten Putzlumpen, der sie bis vor kurzem noch war, wird strahlend weiße Innerlichkeit göttlichen Odems! Denn da sie sind alle versammelt, die ablassgewährenden Gestalten, die eine U6 Fahrt zum heilbringenden Ereignis machen, gegen welche die Leiden Hiobs ein Jahrmarktrummel waren: Humorbefreite Gesichter durchwegs (nichts unübliches in Wien, aber hier von exorbitanter Qualität), der fröhlich übernächtigte Trunkenbold, der lallend auf mich zutorkelt, um mir die Zusammenhänge der Weltpolitik zu erklären. Da ist sie, die laut schmatzende Person, mit einer Hand Essbares in sich hineinstopfend, die andere dazu benutzend, um uns alle mit vollem Munde in ihr Handy plärrend an ihrem spannenden Leben teilhaben zu lassen! Klar, dass sich der nach Bioparfum Marke „Sehr Natürlich“ duftende Bursche neben mich setzt, um an einer Knoblauchpizza zu kauen. Sie sind alle da, die meine Seele dereinst ohne Umweg direkt zum Himmel auffahren lassen werden. Kurz, alles, wofür sich heilige Frauen und Männer ein Leben lang hinter Klostermauern zurückgezogen haben, um in ständiger Einkehr näher an ihren Schöpfer zu gelangen, erledigt der Profibüßer, mit einer 20 minütigen U6-Fahrt. Als ehemaliger Autofahrer, der stundenlang am Gürtel im Stau gestanden ist, wäre der Bußeffekt wohl der gleiche, nur nicht im Mindesten so interessant. Denn die Öffis bringen mich trotz all der unvermeidlichen Ärgernisse schneller ans Ziel, als mir das in meinem Bürgerkäfig jemals gelungen wäre. Zeitung lesen, das Leben draußen an mir vorbei ziehen lassen oder einfach nur die Menschen beobachten. All das hat mich mein Auto verkaufen und mich zum überzeugten Öffi-Fahrer und WildUrb werden lassen. Die damit verbundene Seelenreinigung ist erhalten geblieben! Wären es nicht die vorösterlichen Tage, die mich in allem die Einkehr suchen lassen, ist diese Mischung aus verschiedenen Menschen, fröhlichen Gesichtern, Wiener Grantigkeit verströmenden Antlitzen, interessanten und skurrilen Leuten, die Möglichkeit mit dem einen oder andern ins Gespräch zu kommen, oder gar der Liebe seines Lebens zu begegnen ein durchaus amüsantes Erlebnis, das dem tumben Sitzen in einem stauenden und stinkenden Auto in jedem Falle vorzuziehen ist. Und der öffentliche Verkehr für den einstmals geplagten Autofahrer ein wahrer Segen, wie ich nach einer gewissen Zeit der Umgewöhnung heute weiß. Aber jetzt ist halt Fasten- und Bußzeit und so lässt mich in allem die Möglichkeit sehen, meiner schwarzen Seele Reinigung zukommen zu lassen und die U6 ist halt ein besonders lohnendes Fortbewegungsmittel, um diesem Zwecke zu entsprechen. „Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“, war ein beliebter Spruch Johann Tetzels, eines berühmten Ablasspredigers des 15. Jahrhunderts, dessen Wirken Martin Luther einst bewog, seine 95 Thesen am Hauptportal der Schlosskirche zu Wittelsbach anzunageln. Hätte es die U6 damals schon gegeben, der Kirche wäre das große Schisma, die Spaltung in Katholizismus und Protestantische Kirche, vermutlich erspart geblieben. Der Handel mit Ablassbriefen wäre kein lohnendes Geschäft gewesen, der Petersdom heute wohl ein armseliges Kirchlein und der Erzbischof Albrecht von Brandenburg als armer Kirchenmann gestorben. Also tragt euer tägliches Leid mit Stolz, Hoffnung und Würde, ihr Öffi-Kollegen, denn sie bringen euch nicht nur schneller ans Ziel, sondern auch dem Paradiese näher! Ein Hoch den Öffis, trotz all ihrer Schwächen, die mir das Autofahren letztlich entbehrlich und das zu Fuß gehen zum Genuss machen. Et benedictio Dei omnipotentis: Patris + et Filii + et Spiritus Sancti + descendat super vos et maneat semper. |
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