Es ist der pure Zufall, der die URBs diesen ersten seit langem sonnigen Nachmittag auf das Nordbahnhofgelände verschlägt und in Folge dessen, in blankes Staunen versetzt. So etwas gibt es tatsächlich mitten in Wien, also mitten ist vielleicht etwas übertrieben... Gut, so etwas gibt es also TATSÄCHLICH in Wien! Ein riesiges Gelände, das mittlerweile schon recht gut zugebaut ist, aber doch auch jetzt noch erahnen lässt, wie groß es ursprünglich gewesen sein muss. Zumindest der Teil, der immer noch eine Gstättn, beziehungsweise schon fertig zur weiteren Verbauung planiert ist. Konkret befinden wir uns im 2., an der Grenze zum 20. Bezirk, am Nordbahnhofgelände.
Ein kurzer geschichtlicher Abriss zum besseren Verständnis >> 1839 entsteht der erste Nordbahnhof und dient hauptsächlich dazu Menschen und Güter nach Tschechien und Polen zu bringen. Ein zweiter, 1865 errichteter, prunkvoll anzusehender Bahnhof überlebt bis zum zweiten Weltkrieg, danach hat die Stadt kein Interesse mehr die Bombenschäden zu restaurieren, obwohl es kein großer Aufwand gewesen wäre, und sprengt ihn 1965 - 100 Jahre nach seiner Fertigstellung - endgültig. Das Gelände grundelte eine Zeit lang vor sich hin, bis die Bahn und private Firmen die 30 ha große Fläche bespielen. Hauptsächlich wird das Gebiet als Kohlenumschlagplatz verwendet. Erst Mitte der 90iger Jahre zwingt die Wiener Wohnungsknappheit zu neuen Plänen für das Nordbahnhofgelände. Es wird schlussendlich an die Stadt Wien verkauft. Was zaghaft begonnen hat und sicher weitere 15 Jahre brauchte um zu gedeihen, lässt sich mittlerweile sehen. Mit offenem Mund, wohlgemerkt. Ein bunter Strauß an Genossenschafts- und Mietbauten in allen Variationen und Vorstellungsmöglichkeiten die moderne Architektur heute zu bieten hat. Begeistert ziehen die Blicke von Balkon zu Balkon, in diesem Grätzel ist wirklich jede Stilrichtung und Größe zu finden. Die URBs würden eindeutig den großen Balkonen – auf denen sich ein Leben mit Frühstücksmöglichkeiten im Freien ausgeht - den Vorzug geben. Vielleicht würden wir dann wie im Film dieZweisitzrakete ganz frech von oben mit gatschigen Tomaten oder faulen Eiern werfen. Oder vielleicht würden wir auch nur davon träumen. Bewohner dürfen aus bunten Plexiglaskuben auf den dazwischen liegenden Rudolf-Bednar-Park blicken, der an allen Ecken und Enden herausputzt und gelobt wird. Schöne neue Welt. Oder etwa nicht? Die Bäume sind noch jung, sie geben daher im Sommer kaum Schatten und dazu findet man dieses sonderbare Schilf, das so aussieht, als ob es sich dort noch so gar nicht wohlfühlen würde. Kindertage einer Gegend. Erfreulich sind die unverbauten Teile des Areals. Hier glühen die Kameras. Hier biegen sich die Smartphoneobjektive. Ein Paradies für jeden Instagramhobbygrafen und Profifotografisten. Es gilt ja, bald für immer dahingegangenes für die Nachwelt festzuhalten. In echt oder gefotoshopt. Wen kümmert das schon? Aber nicht nur wir, viele wilde WienerInnen sind hier unterwegs, und nur ein geringer Prozentsatz davon hat einen Vierbeiner mit dabei. Bizarre Baumformationen, zusammengeschnitten, Lagerhäuserreste, Kohlenschüttgruben - erkennbar an den noch stehenden Trennwänden, Unterführungen, Graffitis und visuelle Kostbarkeiten aller Art. Hinter jeder Biegung, jedem Tunnel, jeder Brücke, jedem Damm eröffnen sich neue Perspektiven. Immer Unerwartetes. Immer eine Quelle der Kreativität unter dem Horizont. Und – Gleise, Gleise, Gleise. Gleise die im Nichts enden. Weichen, Kreuzungen, die ins Nirgendwo führen. Nicht enden wollend, in teilweise fußbrecherischer Weise begehbar. So wie vieles von den Auf und Ab´s hier. In der Vorgartenstraße befinden sich die Denkmal geschützten Autobusgaragen, vermietet an einen Supermarktdiskonter. Die Straßenbahnremise, als Eventlocation, ist geblieben. Der Wasserturm, jetzt noch Teil der Gstättn, soll auf jeden Fall bleiben, die Grünen schlagen ihn als kommunikatives Stadtteilzentrum vor. Was, wenn jede Gstättn der Besiedelung zum Opfer fällt? Ziemlich unurbig, finden die URBs. Aber wohin mit den vielen Menschen, wenn es keine ausbaubaren und vor allem leistbaren Dachböden mehr gibt? Laut Stadtentwicklungsplan soll bis 2030 das ganze Gelände verbaut sein. Gerade deswegen ist es empfehlenswert, JETZT einen Spaziergang hierher einzuplanen. Denn wer weiß, wie lange das noch GEHT. Die wunderbaren Fotos wurden uns zur Verfügung gestellt von © by www.alexhalada.com Vielen Dank! Text: E. Ruthner |
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