Gehen ist eine feine Sache und kein Weg sollte zu weit sein, um ihn nicht zu Fuß zurückzulegen. Dennoch gebieten es allfälliger Zeitmangel, Gebrechlichkeit oder schlicht schändliche Faulheit bisweilen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.
Ich bin ein Büßer, müsst ihr wissen, und so sind die vorösterlichen Tage des Fastens, der Selbstbezichtigung und des selbstauferlegten Leidens für mich die schönste Zeit des Jahres. Schon am frühesten Morgen steige ich hinab in meine private Krypta, um mir mit Flagellum und festgezurrtem Schmerzensgurt süß erlösende Pein zuzufügen, denn nach den frühmorgendlichen Bußübungen fühlt sich der arme Sünder erst so richtig entspannt. Derartiges ist allerdings nur eine kleine Vorfreude auf die süßen Qualen die da erst kommen mögen! Denn mit vom Flagellum blutig gegeißeltem Rücken, den Bußgürtel bis zum Anschlage festgezurrt, nur mit Sack und Asche bekleidet, begibt sich der wahre Asket bloßen Fußes durch den Schneematsch wandelnd der U6 Station entgegen. Denn hier beginnt der wahre Spaß erst wirklich! Ich könnte natürlich auch die U4 benützen, was wesentlich angenehmer und auch der praktischere Weg für mich wäre, aber im fastenzeitlichen Drange, um Vergebung für all die begangenen Sünden des restlichen Jahres Abbitte zu tun, ist dem wahren Asketen keine Entbehrung zu groß, um sich ein paar Jahrtausende Fegefeuer zu ersparen. Kaum den Zug bestiegen, beginnen Leid und Elend in dessen Innerem auch schon ihre segensreiche Wirkung auf die um Vergebung lechzende Seele des Bußfertigen zu übertragen und aus dem dreckverschmierten Putzlumpen, der sie bis vor kurzem noch war, wird strahlend weiße Innerlichkeit göttlichen Odems! Denn da sie sind alle versammelt, die ablassgewährenden Gestalten, die eine U6 Fahrt zum heilbringenden Ereignis machen, gegen welche die Leiden Hiobs ein Jahrmarktrummel waren: Humorbefreite Gesichter durchwegs (nichts unübliches in Wien, aber hier von exorbitanter Qualität), der fröhlich übernächtigte Trunkenbold, der lallend auf mich zutorkelt, um mir die Zusammenhänge der Weltpolitik zu erklären. Da ist sie, die laut schmatzende Person, mit einer Hand Essbares in sich hineinstopfend, die andere dazu benutzend, um uns alle mit vollem Munde in ihr Handy plärrend an ihrem spannenden Leben teilhaben zu lassen! Klar, dass sich der nach Bioparfum Marke „Sehr Natürlich“ duftende Bursche neben mich setzt, um an einer Knoblauchpizza zu kauen. Sie sind alle da, die meine Seele dereinst ohne Umweg direkt zum Himmel auffahren lassen werden. Kurz, alles, wofür sich heilige Frauen und Männer ein Leben lang hinter Klostermauern zurückgezogen haben, um in ständiger Einkehr näher an ihren Schöpfer zu gelangen, erledigt der Profibüßer, mit einer 20 minütigen U6-Fahrt. Als ehemaliger Autofahrer, der stundenlang am Gürtel im Stau gestanden ist, wäre der Bußeffekt wohl der gleiche, nur nicht im Mindesten so interessant. Denn die Öffis bringen mich trotz all der unvermeidlichen Ärgernisse schneller ans Ziel, als mir das in meinem Bürgerkäfig jemals gelungen wäre. Zeitung lesen, das Leben draußen an mir vorbei ziehen lassen oder einfach nur die Menschen beobachten. All das hat mich mein Auto verkaufen und mich zum überzeugten Öffi-Fahrer und WildUrb werden lassen. Die damit verbundene Seelenreinigung ist erhalten geblieben! Wären es nicht die vorösterlichen Tage, die mich in allem die Einkehr suchen lassen, ist diese Mischung aus verschiedenen Menschen, fröhlichen Gesichtern, Wiener Grantigkeit verströmenden Antlitzen, interessanten und skurrilen Leuten, die Möglichkeit mit dem einen oder andern ins Gespräch zu kommen, oder gar der Liebe seines Lebens zu begegnen ein durchaus amüsantes Erlebnis, das dem tumben Sitzen in einem stauenden und stinkenden Auto in jedem Falle vorzuziehen ist. Und der öffentliche Verkehr für den einstmals geplagten Autofahrer ein wahrer Segen, wie ich nach einer gewissen Zeit der Umgewöhnung heute weiß. Aber jetzt ist halt Fasten- und Bußzeit und so lässt mich in allem die Möglichkeit sehen, meiner schwarzen Seele Reinigung zukommen zu lassen und die U6 ist halt ein besonders lohnendes Fortbewegungsmittel, um diesem Zwecke zu entsprechen. „Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“, war ein beliebter Spruch Johann Tetzels, eines berühmten Ablasspredigers des 15. Jahrhunderts, dessen Wirken Martin Luther einst bewog, seine 95 Thesen am Hauptportal der Schlosskirche zu Wittelsbach anzunageln. Hätte es die U6 damals schon gegeben, der Kirche wäre das große Schisma, die Spaltung in Katholizismus und Protestantische Kirche, vermutlich erspart geblieben. Der Handel mit Ablassbriefen wäre kein lohnendes Geschäft gewesen, der Petersdom heute wohl ein armseliges Kirchlein und der Erzbischof Albrecht von Brandenburg als armer Kirchenmann gestorben. Also tragt euer tägliches Leid mit Stolz, Hoffnung und Würde, ihr Öffi-Kollegen, denn sie bringen euch nicht nur schneller ans Ziel, sondern auch dem Paradiese näher! Ein Hoch den Öffis, trotz all ihrer Schwächen, die mir das Autofahren letztlich entbehrlich und das zu Fuß gehen zum Genuss machen. Et benedictio Dei omnipotentis: Patris + et Filii + et Spiritus Sancti + descendat super vos et maneat semper. |
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