Gehen. Losgehen. Abgehen.
Den Kopf freibekommen. Den Blick und die Gedanken schweifen lassen. Auf Sonnenstrahlen surfen und mit den Wolken fliegen. Der Weg ist das Ziel und die Landstraße mein Leben. Fühlen. Spüren. Sich spüren. Die Welt wahrnehmen. Die Landschaft und den Tag an sich vorbeiziehen lassen. Mit der Straße eins werden und sich im Wald verlieren. Das Leben ist zu kurz und die Minuten kostbar. Allein. Zu zweit. gemeinsam. Einfach loslassen. Die Sorgen und den Alltag hinter sich lassen. Den Wind und den Regen im Gesicht spüren. Gehen. Losgehen. Abgehen. Heimkommen. Ich gehe im Kreis. Das ist mir am wichtigsten. Immer schon. Es ist nichts schädlicher für das Gehen, als ein Ziel zu haben. Ein Ziel verletzt das Gehen, setzt es unter Druck, macht es austauschbar. Irgendwo hingehen zu müssen, ist kein guter Umgang. Ich habe früh mit dem Gehen begonnen - im Zimmer, durch die Stadt, übers Land.
IM ZIMMER Durch das Schreiben habe ich mit dem Gehen angefangen. Ich konnte mit keinem Satz beginnen, ohne auf und ab oder - besser noch - im Kreis zu gehen, wenn es der Raum zuließ. Das Denken musste in Gang kommen. Dabei konnte ich nicht sitzen bleiben. »Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht still in einem Zimmer bleiben können«, sagte Pascal irgendwann. So blieb ich drinnen. Aber Gehen musste sein. Ohne Gehen kein Gedanke. Wenn der Gedanke aber plötzlich da war, musste ich gehen, um meine Aufregung zu beherrschen, zu kanalisieren, dem Gedanken eine Sprache zu geben. Ich konnte immer nur kurz sitzen. Kein Wunder, dass es langwierig war, ein paar Seiten zu schreiben, dass meine Beine am Ende eines Tages müde waren. In meinem ersten Zimmer als Student waren nach einem halben Jahr die Spuren eines Kreisganges im Linoleumboden sichtbar. In späteren Zimmern musste ich aus Platzgründen auf und ab oder in einem Quadrad gehen. DURCH DIE STADT Durch die Stadt zu gehen war nicht so einfach, jedenfalls nicht von Anfang an. Durch die Stadt zu gehen, habe ich gelernt, von Paul Auster beispielsweise. In der »New York-Trilogie« schreibt er gleich zu Beginn er über seine Figur Quinn: »Was er aber am liebsten tat, war Gehen. Beinahe jeden Tag, ob Sonne oder Regen, heiß oder kalt, verließ er seine Wohnung, um durch die Stadt zu gehen - er ging nie wirklich irgendwohin, sondern ging einfach, wohin ihn seine Beine zufällig trugen.« Das ist nicht einfach. Tritt vor das Haus uns lass' dich treiben. Entscheide erst vor der Tür durch irgendeinen Impuls, ob du nach rechts oder links gehst. Überlege nicht schon am Weg, wohin du an der nächsten Kreuzung abzweigen wirst. Warte, was passiert. Immer weiter. Stundenlang. Nur so lernst du eine Stadt kennen. Aber du wirst sie nie kennenlernen, wenn du immer nur irgendwohin gehst. Auch wenn du diesen Stück Brot siehst, das ein Motorrad im Regen überfährt. Auch wenn du diese herzerweichende klare Stimme in der U-Bahn-Passage singen hörst. Auch wenn du diese Frau bemerkst, die allein in einem Vorstadtcafé sitzt und Tränen in den Augen hat. Auch wenn du das verschmierte Firmenschild an der Tür siehst, hinter der es keine Firma mehr gibt. Auch wenn du das merkwürdige Grinsen eines alten Mannes wahrnimmst während er am Morgen die Müllmänner beobachtet. Auch wenn dir auffällt, dass der Obdachlose in diesem Durchgang auf einem ausgebreiteten »Karriere-Standard« liegt. Auch wenn du das alles bemerkst. Es ist nur Kulisse, wenn du irgendwo hin musst. Wenn du aber kein Ziel hast, bist du Teil der Szene. ÜBERS LAND Das Land ist immer menschenleer. Auch wenn ich welche treffe und sogar grüße. Beim Gehen übers Land begegne ich keiner Menschenseele. Ich rieche das feuchte Laub am Weg. Ich sehe das goldgelbe Weinlaub in der Sonne. Ich beobachte die lockere Erde, die der Regen fortschwemmt. Kein Gehen ohne Stehenbleiben. Und dieses Stehenbleiben ist nicht immer eine Rast. Vielleicht habe ich im Gehen einfach nur meinen Standpunkt verloren. Und ich kann am Ende nur sagen, dass ich diese goldgelbe Farbe gehört oder gerochen habe. Einen Zweig davon lege ich zu Hause auf die Kommode. Aber ich kann darüber nichts erzählen. Es bleibt ein Erlebnis im Gehen. Ich wohne am Stadtrand, was neben Besuchen von Eichhörnchen, Katzen und Kröten im Haus auch bedeutet, dass es ein schönes Stück zu gehen gibt bis zur nächsten Öffi-Station. Free Walking heißt für mich neben dem lustvollen Schreiten auf einen Wegen auch viel zu sehen, was mich inspiriert.
Nach der ersten kalten Nacht, die das Ende des Sommers markiert, sehe ich auf meinem Weg zur S-Bahn-Station eine Versammlung von etwa zwanzig lautschnäbelig diskutierenden Krähen. Rot flammende Büsche stechen aus den vielen mein Auge erfreuenden Grüntönen hervor. Die Baldachinspinnen sind schon fleißig dabei, Büsche und Hecken zu verzieren. Eine feuchtkalte Brise weht mich den Hügel hinunter, ich ziehe die Jacke enger um mich und gehe schneller. Ich freue mich schon auf die Treppe zum Bahnsteig hinauf. Ja, ich liebe Treppen! Unterwegs in der Stadt gibt es für`s Stiegensteigen viele Gelegenheiten: statt mich auf eine überfüllte Rolltreppe zu quetschen, nehme ich lieber die Aufgänge zu den U-Bahn-Stationen und freue mich, oben angekommen, dass mein Herz schneller schlägt, dass ich meine Beine gut spüre, dass ich mich bewegen kann. Wenn ich früh genug von zuhause weg gegangen bin, steige ich auch schon mal eine oder zwei Stationen früher aus der U-Bahn und gönne mir einen kleinen Spaziergang entlang des Donaukanals. Am Wasser entlang zu gehen, hat seinen besonderen Reiz, bringt es doch meine Gedanken noch mehr ins Fließen als Gehen allein. Schön, dass da ab und zu eine Parkbank steht, da kann ich mich für ein paar Minuten hinsetzen und die frisch durcheinanderpurzelnden Gedanken in mein Notizbuch kritzeln. Ich wohne schon seit fast dreißig Jahren in Wien, in unterschiedlichen Bezirken. Nach jedem Umzug habe ich mit Begeisterung mein neues Grätzl gehend erforscht. Dabei habe ich Erinnerungsspuren gelegt. Interessant, wie durch das Gehen in der Stadt die unterschiedlichsten Erinnerungen an meine früheren gehenden Ichs ausgelöst werden. Ah, das war doch die Kreuzung, wo ich einmal um drei Uhr morgens mit C. getanzt habe. Ah, und in dieser Gasse ist mir meine Tochter mal aus dem Kinderwagen gefallen. Ja, und da bin ich immer durch die Allee gehetzt, um wenigstens zur zweiten Schulstunde vor dem Läuten in der Klasse zu sein. J Und da stand einmal mein Lieblingsbaum, unter dem ich so gerne in meinem Notizbuch geschrieben habe. In meinem Leben wie auch auf meinen Wegen durch die Stadt suche ich gerne neue Routen, weil ich dabei immer frische interessante Details entdecken kann. Von Routinen abzuweichen macht mich wach. Johanna Vedral, http://schreibstudioblog.wordpress.com/ Die Kleine geht. Na und!? Tun doch (fast) alle kleinen Kinder irgendwann. Ja, eh. Ist ja wirklich keine Sensation. Was mich jedoch momentan fasziniert, ist die unermessliche Energie und Ausdauer, mit der dieser Bewegungsart gefrönt wird.
Und ab. Schritt für Schritt. Auf den Hintern setzen. Auf. Vorne überkippen. Und auf. Weiter. Haken rechts. Oh, ein Hindernis (der große Bruder). Haken links. Ich gehe. Weil ich kann. Oh, was ist denn das? Hab ich früher von weiter unten garnicht gesehen. Gleich mal hin. Ups. Runtergefallen. Schnell mal weg, bevor wer auf die Idee kommt, ich hätte was damit zu tun. Die pure Lust am Gehen. Weil sie es kann. Mit dem gewissen Glitzern in den Augen. Das erste Mal sehen konnte man dieses Glitzern in ihren Augen ziemlich genau an ihrem ersten Geburtstag Anfang Oktober. Der Blick sagt ja meiner Meinung nach so viel wie: “Tja, liebe Eltern, das mit dem Gehen wäre ja jetzt erledigt. Wann bekomme ich mein erstes Moped?” Bei T. ist das im Moment ja nicht so. Naja, zumindest nicht ganz so. Zu Beginn eines absehbar länger als 10 Minuten dauernden Fussmarsches wird das“IchkannnichtmehrMeineFüssetunsowehWannsindwirda?”-Programm gestartet. Wenn man jedoch die ersten 10 bis 20 Minuten überstanden hat, ohne dass einer der Beteiligten seine Nerven in den Straßengraben oder sonstwo hin geworfen hat, dann kann der Bub stundenlang gehen. Dreimaliges Bezwingen des Ötschers spricht für sich. Ich freue mich heute schon darauf, wenn wir mit beiden Kindern die ersten Berge erklimmen. Wenn ich die Zeichen richtig deute, wird uns die Kleine dann zeigen wo es lang geht. Der St. Marxer Friedhof ist gerade jetzt in der Flieder- und Kastanienblüte einer der bezauberndsten Orte in ganz Wien. Als letzter erhaltener Biedermeierfriedhof weltweit - welcher mittlerweile ein öffentlicher Park ist - lädt er zu sehr entspanntem „Urben“ ein. Dem war nicht immer so: In den 1970er-Jahren sollte ein großer Teil des Friedhofs der gerade im Bau befindlichen A23 zum Opfer fallen. Dagegen regte sich damals Protest. Unter anderem entwickelten Schülerinnen der nahe gelegenen BEA 3 ein Straßentheaterstück mit selbst geschaffenen Bühnenbildern. Inhalt und Zweck des Stückes war es, auf die vielen auf dem St. Marxer Friehof begrabenen berühmten Persönlichkeiten hinzuweisen. In diesem Stück implementiert war ein „Totengräber Gustl“, der als Conférencier die Toten aufrief und miteinander ins Gespräch brachte. Und nicht jeder dieser Toten war eine mutmaßliche Rampensau:
„Beppi, du bisd glei drau, bisd da Nexde!“ „Wos? Wos sui i duan? I bin seid iwa hundadfuchzg Joa hii. Hoat woa mei Lebm und schee da Tod. Kennz mi ned afoch moscherln?“ „Des geed heid ned, Beppi. A Autobaun wuins baun und di Gräwa do runieren. Deins aa. ’Sis daun vuabei mid deina Todnrua. Irgndwo am Zendral buddelns dii daun ei.“ „Deafz des iwahaubd? I man, des hed ma si amoi ealaubn suin. Da Mettanich häd uns in Marsch blosn, ois dass ma si bis aafs Kreiz auffe augschissn heedn. Teada spüün, wäus ka Autobaun wuin. I glaub i draam. Und eigandlich bin i jo scho soo laung hii. Ned amoi ois Leich lossns an in Rua, de junge Bagasch mid eanare künstlarische Ambitionen dodan.“ „Pudl di ned auf, Hustinettnbäa! Howi ee scho gsogd, dassd midspüün suisd, damidzd wieda dei Rua hosd.“ „Mei Rua sui i daun wieda hobm? Nu, wos glaubsd, wia leiwand des is, waun dei Grob in am Baak steed? Wo da di Tachiniera daun aafs Grob schiffn, weis ned segn, daas do dribm ee a Scheißheisl is. I waas ned, obs ned gscheida warad, mia olle do kammadn am Zendral. Dea sui schee groß und ruig sei. Do rennan wenigstns wiaglich nua am easchdn Nowemba hoid a boa oide Schaastrummin umnaunda“. „Jezz hob di ned aa so! Kumm, moch uns amoi a Freid. I heed heid ee fosd ned spüün deafn, wei i a bissl graung bin. Beddln hob i miassn, und meine Leerarinnen hobm a bei meine Oidn beedldn miassn, dass i a spüün deaf. Und jezznan mochsd ma suichane Oaschdanz.“ „Waunsd ma so kummsd, kaunsd grod amoi a Floschn hobm. A so a Rozzmensch, nodiges. Stead mei Todnrua und red vo Oaschdanz. Na, sowas howi no ned gsegn oda ghead.“ „Grmpf. Naa guad, des mid de Oaschdanz tuad ma laad. Schau, mia maanans jo nua guad.“ „Jo, owa wos brauchz do mi dazu? Neemz doch in Wuifal [W.A. Mozart]! Dea hod wenigsdns a Renommee! Im Grob singd a sogoa a große Nochdmusig, woos a z’Lebzeidn eh nie gschoffd hod. Oda den Madasperga [Joseph Madersperger], dea hod wenigstns d’ Naamaschin eafundn. Wos brauchds do wiaklich mi dazu? I woa jo nua da Pumpfinebara.“ „Nu, I spüü jo a nua den Pumpfinebara, dea hoid di Leichn aufruaft, wauns drau saan. Damid d’ Leid meakn, wea do olla liegd. Und oone di tadadns do ned liign. Du hosd jo do fosd di Haubdruin gspüüd! Und dii Brominenz loss ma eh ned aus.“ „Owa a Maut hobm ma trozzdem vüü z’weng kriagd. De ganzn Nodigen blaubliadign Heefischn, de gaunzn wichdign Weiwa, de eanare Hofräd und Geheimräd und wos wasn i nu ois ins Grob broochd hobm, dawäu draußn schoo da Musarich gwoad hod. Pfui Deife, kann i do nua soogn. Grod, dass mi griassd hobm. Und do wundad si wea, waun die Pumpfinebara vüü saufn?“ „Jo ee! Is sicha kaa Böana, de Hockn. Owa ebm: Wäusdas gmochd hosd, deswegn bisd jo wichdig! Deswegn brauch ma di joo heid!“ „Gee, kennz ned wiaklich die Pfeifferin [Ida Pfeiffer] nehman? De redd e so gean driwa, wos ned iwaroi woa? Oda den Ypsilanti [Alexander Ypsilanti]? Dea wüü ee di gaunze Zeid Kriag fian, dea fiad a gegn a Autobaun Kriag!“ „Heasd Beppi, mid da Pfeifferin suisd jo daun redn, und da Ypsilanti kummd a nu dran. Dea tatad, waun a ned hii waa, waarscheinlich scho auf die Taubm schiaßn zum üübn. Jezz scheiß di ned amoi. S’ is ewandöö dei lezzda große Auftridd!“ „Meinasöö. Grood mid da Pfeiffarin. Dea heedns jo wiaglich die Pappn nu extra eihaun suin. Nua waunsd ma vasprichsd, dass I daun mei Rua hob?“ „Sog I jo die gaunze Zeid, daun suisd wieda dei Rua hobm.“ Anm. des Autors: Herr Joseph Löffler, Totengräber allhier, starb am 16. April 1828. Der St. Marxer Friedhof ist der einzige der einstigen fünf communalen Friedhöfe, der nach seiner Schließung 1874 als Friedhof erhalten wurde. Der Biedermeierfriedhof wurde 1937 unter Denkmalschutz gestellt und einer Renovierung und Instandsetzung unterzogen. Heute ist der St. Marxer Friedhof der Wiener Bevölkerung als öffentliche Parkanlage zugänglich. Die wohl bekannteste Grabstätte auf dem St. Marxer Friedhof ist jene des Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart starb am 5. Dezember 1791 und sein Leichnam wurde nach der Aufbahrung im Stephansdom wahrscheinlich am 8. Dezember gemäß den geltenden Verordnungen in einem Schachtgrab ohne Kennzeichnung auf dem St. Marxer Friedhof beigesetzt. Obwohl der Friedhof heute von stark frequentierten Straßen und einer Stadtautobahn umklammert ist, bietet er den Besuchern Ruhe und Erholung. Quelle |
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