Gehen in Gebäuden: Inmitten des neonbestrahlten Wahnsinns ganz urbig bleiben!
Shoppingcenter – unsere Containerbauten am Stadtrand sind per pedes kaum zu erreichen – Individuen ausgenommen, die sich gerne kilometerlang durch staubiges Gestrüpp nebst Autobahnen hindurch schlagen – und selbst die öffentliche Verkehrsanbindung an jene Konsumgehäuse ist mehr als unzureichend. Vollgestopft mit Artikeln des täglichen »Nichtgebrauchs« sind jene neuzeitlichen Tempel. Erbaut um sich bedingungslos der Religion des Konsums hinzugeben – Kaufen. Kaufen, um die Leere des eigenen Lebens mit Besitz zu füllen – dem einzigen Glück, wenn wir den Werbebotschaften glauben schenken würden. Aber wir Urbs sind keine Lehrmeister, Gurus oder Verweigerer – klar gibt es aufregendere Orte als diese – aber wir wissen uns auch in diese »heiligen Hallen« zu bewegen. Wir verschieben einfach ein bisschen die Funktion dieser Einrichtungen und schon tritt das »Haben-Wollen« in den Hintergrund und »Erleben« in das Zentrum. Eine urbige Möglichkeit ist, zu visualisieren, dass man sich hier in einem Museum für zeitgenössische Kunst befindet. Andy Warhol hat schon in den 60er Jahren prophezeit, dass Kaufhäuser der Zukunft diese Stellung einnehmen könnten. Tja, recht hatte er, denn es ist zweifellos so, dass die skurrilsten, außergewöhnlichsten und faszinierendsten Gegenstände, die kreative Geister je ausspucken können, in den Shoppingmalls zu finden sind. Formen, Farben, Materialien – ein optisches und haptisches Manifest – hier werden haufenweise Synapsen gebildet – keine Frage ;-) allerdings keine, die süchtig machende Botenstoffe brauchen. Einfach nur durchgehen und sich an der Aussagekraft jedes Ausstellungsstücks erfreuen. Anfassen ist meist erlaubt! Die zweite Möglichkeit, einen aufregenden Tag im Shoppingcenter zu verbringen ist, sich die Lokalität als bewegten Hindernisparcours vorzustellen. Ideal ist so ein Unterfangen an einem Samstag Nachmittag. Ihr glaubt nicht, wie herausfordernd es ist, sich vollkommen konzentriert durch hektische, unkoordinierte Menschenmassen zu manövrieren. Da ist Gegenwärtigkeit, Reaktionsvermögen, Einschätzungsvermögen und Menschenkenntnis von Nöten, um am anderen Ende anzukommen, ohne eine Person gestreift zu haben. In der Gruppe macht dieses Spiel besonders viel Spaß! 1. SCS – SHOPPING CITY SÜD Anfang der 70er Jahre, inmitten von Ackerland, entstand dieses erste Einkaufszentrum Österreichs. Im Laufe der Jahre ist die Konsumanlage auf etwa 225.800m² reine Verkaufsfläche angeschwollen, allerdings ohne die umliegenden Fachmärkte mitzuberechnen. Also ein wahrhaft riesiges Museum, das jährlich etwa 25 Millionen Menschen besuchen, die – weil zu Stoßzeiten in Massen auftretend, auch für den anspruchsvollsten »Indoor-Hindernisparcours« der City sorgen. Die Containerstadt ist auch mit der Badner Bahn zu erreichen, denn die 150.000 Autos, die täglich die Shopping City passieren, sind schon mehr als genug. Tipp für Shopping-Stressopfer: Ein Häuserl-Schau-Spaziergang durch die »Blaue Lagune« nebenan ist recht erholsam! 2. DONAUZENTRUM Die Ausstellungsfläche beträgt hier rund 130.000 m² und zusätzlich kommt der Besucher in den Genuss, die neuen architektonischen Maßstäbe des Shoppingcenterbaus auf sich wirken zu lassen. Ob diese wirklich zur Erholung beitragen oder noch mehr zum Kauf animieren, sei dahingestellt. 3. SHOPPING CENTER NORD »Mehr brauch ich nicht zum Glücklichsein« ist schon der Slogan dieser 32.000m² großen Anlage. Elitäre Shops gibt es nicht, auch der Besucherstrom ist rückläufig. Doch das Center hat was: Zum Studium seltsamer Wesenheiten gibt es selten bessere Orte. EINE AMERIKANISCHE ERFINDUNG? 1956 entstand mit dem Southdale Center bei Minneapolis das erste Einkaufszentrum – geplant von dem österreichischen Architekten Victor Gruen, der als Vorreiter des modernen Shoppingcenter-Baus gilt. Das Konzept war neu, denn zum Unterschied von Kaufhäusern ist der Betreiber nur Vermieter von Geschäftsflächen und kein Handelstreibender. Das erklärt, warum diese Bauten meist am Stadtrand, auf billigem Boden errichtet werden. Denn Attraktivität sollte der Branchenmix – bestehend aus Magnet- und Kleinbetrieben – und das damit verbundene, enorme Warenangebot bringen. Aktionsprogramme sowie ein integriertes Gastro- und Unterhaltungsangebot rundeten das Konzept ab. Und es ging auf. Für die Großstädte allerdings ein Fiasko, denn der Individualverkehr stieg rasant und Stadtteile verödeten komplett. INFOS ZUM THEMA SCS – Shopping City Süd: Montag, Mittwoch, Freitag: 9:30 bis 19:00, Donnerstag: 9:30 bis 21:00, Samstag 9:00 bis 18:00, 2331 Vösendorf Donauzentrum: Montag - Freitag: 9:30 bis 20:00, Samstag 9:00 bis 18:00, 1220 Wien, Wagramer Straße 81 Shopping Center Nord: Montag - Mittwoch: 9:00 bis 19:00, Donnerstag, Freitag: 9:00 bis 20:00 Samstag 9:00 bis 18:00, 1210 Wien, Ignaz Köck Straße 1 Ein Point aus dem Buch WIEN GEHT Autorin: Jine Knapp Comments are closed.
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