Eigenartig ruhig kam es Gundula M. vor, als sie, nachdem sie die Fenster zum Lüften geöffnet hatte und ihre Kaffeetasse mit noch verschlafenen Augen visualierte. Irgendetwas fehlte ihr an diesem Montag. Jedenfalls aber war noch Strom, Wasser und alles weitere Notwendige vorhanden, um diese Arbeitswoche wie alle anderen vorhergehenden zu starten. Einzig, die Milch für ihr Müsli war alle. Dieses Missgeschick war aber keine nachteilige Ausgeburt irgendeiner Paranoia, sondern einfach der Tatsache geschuldet, dass sie am Samstag davor zuwenig Milch gekauft hatte.
Und so trat Gundula M. wie gewohnt nach Frühstück und Morgentoilette auch diesmal angekleidet auf die Straße. Und dennoch: Irgendetwas war an diesem 1. Oktober anders als den vorangegangenen Montagen die Gundula M. in der Stadt erlebt hatte. Ein eigenartiges Pfeifen war zu vernehmen, möglicherweise von irgendeinem Vogel in irgendeinem Baum. Aber genau lies sich das für Gundula M. nicht bestimmen. Es war jedenfalls ein Geräusch, welches sie bisher noch nie in der Stadt vernommen hatte. Als sie um die nächste Straßenecke bog, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Mehr als die Hälfte der Autos war verschwunden! Obwohl, wie bereits erwähnt, Gundula M. keine besondere Faible für Verschwörungstheorien und auch keine nennenswerten Neigungen zu paranoiden Schüben hatte, machte sie sich ob dieses eigenartigen Anblicks große Sorgen. Als Teenager hatte sie einmal ein Buch gelesen, in dem das Szenario eines Unfalles in einem Kernkraftwerk in Bayern durchgespielt wurde. Da waren die Straßen und Gassen in den Städten auch wie leergefegt und dafür die Ausfahrtsstraßen und Autobahnen überfüllt. War womöglich ein grenznahes Kernkraftwerk in die Luft geflogen? Jede Gasse, die Gundula M auf ihrem an sich recht kurzen Weg in ihr Büro durchschritt, bot ein ähnliches Bild: Ein Großteil der Autos war wie vom Erdboden verschluckt. Das machte ihr aber noch keine großen Sorgen. Eher musste sie darüber ein wenig Schmunzeln, dass urbanen Menschen im 21. Jahrhundert leichte Wahrnehmungen einer Agoraphobie überkam, wenn mehr als die Hälfte der Autos über Nacht verschwinden. Nein, wirklich Sorgen machten Gundula M. die seltsamen Geräusche, die ihr immer bewusster auffielen, und auch die eigenartigen Gerüche. War an den Verschwörungstheorien, dass die Welt 2012 untergehen würde, tatsächlich etwas dran? Oder waren Außerirdische in der Stadt gelandet und ein Teil der Wiener Bevölkerung einfach geflüchtet? War die Straßen deshalb so leer, weil die Korruptionsstaatsanwaltschaft ihre Personalabteilung aufgestockt hatte und dies bei einem Teil der Leistungsträger dazu geführt hatte, endlich die lang geplante Weltreise anzutreten? Ob dieser Gedanken und Zustände vollkommen verunsichert, machte sich Gundula M. auf den Weg, um sich auf der Baumgartner Höhe, wenn schon nicht einweisen, dann zumindest einem Gehirnsoftwarecheck zu unterziehen. Nicht ganz angekommen, lüftete sich jedoch das Geheimnis. Das zweite Mal an diesem Tag fielen Gundula M. Schuppen von den Augen. Eine Erkenntnis reicher, machte sie beim Termin 1. Oktober 2012 folgenden Eintrag in ihr Notizbuch: „Wir schreiben das Jahr 2012 nach Christus. Ganz Wien ist befreit von herumstehenden Autos. Ganz Wien? Nein, in einigen Bezirken rollen ganze Autolawinen einzig mit dem Zweck, einen Parkplatz zu finden, umher. Besonders weitsichtige Bezirkspolitiker haben dafür gesorgt, dass besonders weitsichtige Bürger/innen eine einheitliche Parkraumbewirtschaftung per Volksbefragung ablehnen können. Diese Bezirke können nun als die letzten Bastionen der urbanen Autophilie in Europa betrachtet werden. Immerhin, die Anrainer/innen können stolz darauf sein, auf dem Gelände der billigsten (weil kostenlosen) Parkplätze der Stadt wohnen zu dürfen.“ |
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