Im Winter liebe ich wohlig warme Daunenjacken, weiche Mäntel, lange Schals. Allerdings nicht, wenn man mich in sowieso meist überheizten Zügen im Stoßverkehr zwischen deren Trägern einquetscht. Im Sommer mag ich nackte Haut, muskulöse Männer in knappen Shirts und leichtbekleidete Frauen. Nicht so in den Straßenbahnen oder U-Bahnen in und unter Wien (Beziehungsweise wahrscheinlich auch in keiner anderen Stadt dieser Welt). Vor allem an den heißen Tagen des Jahres ist es oft ziemlich unangenehm, sich zwischen die dicht gedrängten Menschenmassen zwängen zu müssen.
Wenn ich gezwungen bin, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, bin ich ja eher skeptisch eingestellt. Nicht gegenüber der ab und zu auftretenden Unpünktlichkeit der Wiener Linien, sondern hauptsächlich gegenüber den Leuten darin. Nicht nur aufgrund der teilweise fraghaften und oft mangelnden Körperhygiene so mancher Menschen, sondern auch wegen meinem leichten Hang zur Misanthropie, bin ich ja immer schon eher der gleichen Einstellung, wie der „Wilde Mann“ aus Handkes Untertagblues gewesen: „Weltekel, Scheinleben, Verlogenheit rund um mich. Ihr gehört nach Hause, ihr. Warum bleibt ihr nicht endlich einmal vollzählig und ganz in euren Löchern und Unterschlüpfen?“ U-Bahn fahren ist für mich wie ein Survival-Track. Ein Kampf mit mir selbst, ums blanke Überleben in der Stadt. „Kennst du das Gefühl zwischen all den Menschen einsam zu sein? Je mehr Menschen, desto einsamer wirst du.“* Gefangen unter der Stadt. Selbst wenn ich gut drauf bin, ist der Untergrund nie wirklich ein Ort, wo ich mich sonderlich wohl fühle. Wahrscheinlich wäre es anders, wenn ich zu Fuß oder alleine durch die Gänge unter der Stadt wandern könnte. Aber nicht so in den Zügen, die täglich unter Wien tausende von Leuten befördern. (Das Wiener U-Bahn-Netz umfasst 101 Stationen und 75 Kilometer Fahrtstrecken. 2010 fuhren über 530 Millionen Menschen mit der Wiener U-Bahn.) Das Grauen vor dem „Nicht-Ort“ U-Bahn hat bis zuletzt immer überwiegt. Bis zu dem Tag, als ich Timo Novotnys neusten Film „Trains of Thoughts“ (Gedankengänge) gesehen habe. Ich war eigentlich nur online über den Trailer gestolpert und hatte sofort Feuer gefangen. Die Erwartungen an den Film waren - bis ich im Kino saß - nicht mehr, als das, was mich der Trailer grob vermuten ließ. Tolle Bilder gepaart mit genialer Musik der „Sofa Surfers“ - Doch ich sollte viel mehr aus dem filmischen Meisterwerk mitnehmen, als gedacht, nachdem die großartigen Impressionen des Films auf mich wirkten. Geniale Aufnahmen aus 6 verschiedenen Metropolen (New York, Los Angeles, Tokio, Hongkong und Moskau), faszinierende Schnitte zu einem atemberaubenden Soundtrack und Einblicke in zahlreiche Facetten dieser Städte. Dazwischen Menschen, Augenblicke, Meinungen, Gedanken und Anekdoten, die meinen BIickwinkel auf das „Sein“ unter Grund grundsätzlich verändert haben. Momente, die einen bewegen. Geschichten aus dem Leben und eine Sichtweise, die ich bis dato noch nicht hatte, vielleicht weil ich mir einfach auch noch nie Gedanken darüber gemacht habe. „Das U-Bahn-System stellt eine parallele Welt dar, die im urbanen Raum täglich genutzt, aber nur selten wahrgenommen wird und beinhaltet Millionen von Tragödien und Komödien, Absurditäten und Beeindruckendes.“* Jede der Linien hat ihre eigene Geschichte, ihr eigenes Schicksal. „Der Weg ist nur auf optische Schaltpläne und Stationsnamen reduziert.“* „Die U-Bahn reflektiert die Gesellschaft und das Leben in einer Stadt. Sie erklärt, warum Menschen in Tokio, New York und Moskau so sind wie sie sind. Die U-Bahn ist ein Ort der Entspannung, der Anonymität und der Freiheit. Ein Ort bei dem man zusammen, aber auch alleine ist.“* Was ich in anderen Städten immer als eine der ersten Handlungen tue (nämlich gehen, mit den „Öffis“ fahren und durch einen Supermarkt bummeln) um die Leute, die Mentalität, die Sitten und die Stadt kennenzulernen, war in Wien bisher immer bloß eine notwendige Handlung, um von einem Ort zum anderen zu kommen. „It´s nice to have a few minutes where you can be by yourself. You know, everybody is always connected. And then you come here and you’re off for the entire time you are down here. For me it’s a relief, because I don’t have to feel pressure about answering emails or messages because I just can’t“* Vielleicht sollte man dafür sorgen, dass die U-Bahn genau aus diesem Grund auch ohne Mobilnetz bleibt, denn manchmal ist speziell in der U-Bahn der Weg in gewisser Weise auch das Ziel. Fotos: www.austrianfilm.at/trains-of-thoughts-presse Filmzitate aus „Trains of Thoughts, Timo Novotny, 2012“ Text: T. Hauser |
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