Gehen war nie so ganz mein Ding. Einer wie ich fährt lieber mit der Ducati, und zwar schnell. Die Schönheiten der Natur werden nicht durchcruist, wie das fransenbejackte Wochenendrocker auf ihren blankpolierten und viel zu lauten Harleys tun. Biedere Schreibtischmenschen sonst, die in Anzug und Krawatte in ihren Büros sitzend meinen, die Geschicke von Wirtschaft und Politik zu lenken, in Wahrheit aber nichts anderes sind, als kleine Rädchen in einer sich längst verselbständigt habenden Maschinerie aus computergenerierter Verlustverwaltung. Nein, die Natur sehe ich am Exelberg nicht, denn ich muss mich darauf konzentrieren, in den Kurven zwar in letzter Sekunde, aber eben doch nicht das Alzerl zu spät den Anker zu werfen, um auf der Straße zu bleiben und nicht in sie hineinzurasen.
Umso erstaunlicher ist es, wie sehr ich eben diese Natur zu genießen vermag, wenn ich mich aufraffe, die winterliche Landschaft meines Heimatortes Sievering zu bespazieren. Ich tue das vornehmlich Wochentags, denn wenn ich durch Wald und Flur stapfe, will ich niemanden sehen. Gar niemanden. Alleine will ich sein, wie im Sattel meines Eisens, auf dem ich unter keinen Umständen jemals irgendjemanden bei einem Ausritt dabei haben wollte. Denn als durchaus geselliger Mensch, bin ich im Grunde meiner Seele ein misanthropischer Einzelgänger. Und genau dieses Alleinsein gelingt selbst in dieser, am Wochenende von Heerscharen frischluftsuchender, in grotesker Aufmachung Nordic-Walking-Stöcke hinter sich herschleifenden Wandervögeln heimgesuchten Gegend des 19. Bezirks aufs aller hervorragendste. Dabei bin ich bei der Auswahl meiner Wanderroute (alles, was länger als 30 Minuten gehen bedeutet, ist für mich eine Wanderung) weder einfallsreich, noch sonderlich originell. Ich folge den ausgetretenen Pfaden des gemeinen Wochendfrischlüftlers, nur dass dort in den von mir bevorzugten frühen Abendstunden keiner Frischluft sucht, außer mir. Die Route ist ausgesprochen simpel und führt über den Schulsteig (Station 39a – für die, die nicht wie ich gleich dort wohnen) die steilen, meine Raucherlunge zerfetzenden Steige der Bellevuestraße zum wenig originellen Wanderziel des wochentags gesperrten Oktogons. Diesen Weg nehme ich aber nicht direkt, sondern mache kleine Umwege durch den unverspurten Schnee, der die Bellevuestraße säumenden Weinberge. Weinberg muss sein, denn da ist nicht einmal vereinzelten Joggern zu begegnen und Schnee muss auch sein, weil er schön ist. Und so hatsche ich einfach einher, ohne etwas zu hören und auch ohne mich viel umzuschauen, denn ich kenne diese Gegend mittlerweile so gut, dass ich bereits jedem Rebstock da oben seinen eigenen Namen gegeben habe. Manch einen grüße ich freundlich, wenn ich das Gefühl habe, lustig sein zu müssen. Da aber niemand Zeuge meines prächtigen Humors wäre, unterlasse ich diesen Unsinn meist und gehe einfach nur. Es soll Menschen geben, die beim gehen denken, sich innerlich sammeln, Betrachtungen über Sinn und Unsinn des Lebens und des Universums anstellen, oder sich gar kreative Schübe holen - nichts dergleichen tue ich. Ich gehe einfach tumb und stur und vor allem alleine. Nichts denkend nichts wahrnehmend, außer dem Geräusch meiner im Schnee knirschenden Schritte, die ich einen vor den anderen setzend, so lange fortführe, bis sie mich durch den Wald hinter dem Oktogon zurück an den Beginn meiner Wanderung getragen haben, meiner Wohnung in Sievering. Und genau das ist es was ich genieße. Dieses Nichts. Diese absolute Sinnlosigkeit meines Tuns. Das nicht Denken, das nicht Betrachten, das nicht Schauen und nicht Hören, das in gewissem Sinne nicht Sein, in einer Welt, in der jeder immer und ohne Unterbrechung sinnvoll zu sein hat. Deshalb mache ich das und es macht mir Freude. Autor: Fred Stampach |
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