Mein lieblingsurbiger Stadtspaziergang verläuft durch das Wiental. Von der Pilgramgasse, in deren Nähe ich wohne, laufe ich der U-Bahntrasse entlang zum Margaretengürtel. Dort weitet sich der Horizont über dem Bruno Kreisky Park und der Blick öffnet sich bis zum Wienerwald, was besonders in der Abendsonne schön ist, wenn sich zartlila Wolkenschlieren durch den Himmel ziehen.
Ein besonderer Platz ist auch die innerstädtische Brache am Gaudenzdorfer Knoten. Wildbewachsen, von den unterschiedlichsten Menschen bevölkert ist diese freie, ungewidmete Fläche ein Stück sich selbst überlassene Natur inmitten des brausenden Großstadtverkehrs. Mit dem Horizont öffnen sich auch meine Gedanken und während ich gehe und gehe und gehe, geht mir alles Mögliche durch den Kopf. Zum Beispiel das hier... Wer in Österreich keine deutschsprachige, gebildete Mutter hat, die zu Hause mit ihm übt, kann am Ende der Volksschule nicht unbedingt lesen, schreiben und rechnen. Wer aber bedenkt, dass wir in einer Demokratie leben, in der nicht die Macht des Stärkeren, also die Gewalt und die Kraft der Waffe herrschen, sondern die Waffe der Wahl die Sprache ist, die über sozialen Aufstieg, soziale Zugehörigkeit und Zugang zu jedweder Art des Kapitals entscheidet. Wer bedenkt, dass ein friedliches, von Prosperität geprägtes soziales Zusammenleben, nur aus der Verständigung wachsen kann, aus gegenseitigem Respekt und der Fähigkeit die eigene Position zu relativieren, dann ist, was hier an der Schule passiert ein bildungspolitischer Skandal. Es ist eine stete Reproduktion einer Zweiklassengesellschaft, die von der herrschenden bürgerlich konservativen Klasse aufrecht erhalten wird um sich den Zugang zu den Ressourcen zu sichern. Die Sprache ist das Selektionsverfahren, die Sprachbeherrschung bestimmt über die soziale Zugehörigkeit, wer die Sprache und die Rechtschreibung beherrscht, beherrscht die Waffe im Kampf um jedwedes Kapital. Die Rechtschreibung ist die Strategie mit der das Bürgertum definiert, ein und ausgrenzt wer an den Ressourcen teilhaben darf. Und die Vermittlung erfolgt über ein Schulsystem mit immanentem Selektionsverfahren. Sozial Schwache und Menschen mit einer anderen als der deutschen Muttersprache haben keine Chance zu kulturellem, sozialem und damit finanziellem Kapital. Dann verläuft mein Weg unter der Otto Wagner Brücke durch und ich denke mir, dass das Inklusions- oder Exklusionsinstrument dieser Gesellschaft die Sprache ist und damit ist der freie Bildungszugang das erste Mittel der Wahl für eine langfristig gerechte Verteilung. Solche Sachen denke ich mir, wenn ich gehe. Immer der U4 entlang bis Schönbrunn und Hietzing, wo ich hinabsteige in den Wientalkanal. Manchmal gehe ich bis Hütteldorf und weiter. Dort steige ich in die U-Bahn ein, die mich in null Komma nichts nach Hause bringt. Eine großartige Wanderung mitten durch die Stadt, und wenn ich zu Hause bin, bin ich mit allem versöhnt. |
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