Jede Reise ins Äußere ist auch ein Aufbruch ins Innere. Man merkt es, wenn man nun, da der Sommer nicht mehr weit ist, durch den Arkadenhof der Universität wandelt. Zwischen den Büsten toter Wissenschaftler weht Aufbruchstimmung. Und gleichzeitig scheinen fast alle, die hier gehen, tief in Gedanken versunken.
Der Hof ist ein Spazierweg von Menschenhand. In seinem ungefähren Mittelpunkt befindet sich eine allegorische Statue Kastalias, der Quelle aller Weisheit. Und tatsächlich ist auf dem marmornen Pfad unter hohen Gewölben Einsicht leichter zu finden als anderswo. Im selben Maße, in dem Welt sich um den Gehenden weitet, wächst der Schatz seiner Erfahrungen an, Schritt für Schritt, Bild für Klang für Geruch für Gefühl und häuft ein Kleinod nach dem anderen an. So ergeht es mir, wenn ich einfach geradeaus gehe. Ich entdecke schnell ganz Neues, weil ich den kürzesten Weg zu meinem Horizont eingeschlagen habe. Ganz anders, wenn ich im Kreis gehe. Wenn das Geradeausgehen mich Fremdes erkunden lässt, was bewirkt dann das Kurvengehen? Es vermag meinen Horizont nicht zu weiten, weil ich mich ihm nicht annähere. Im Gegenteil, ich entferne mich, so lange ich auf meiner gekrümmten Bahn auch gehe, nicht vom Zentrum des Kreises. Ob ich nun schlendere oder laufe oder hüpfe - stets rotiere ich um den einen immergleichen Punkt. Wozu dann überhaupt gehen? Ich sage: Im Kreis gehen ist das beste Gehen überhaupt - für Philosophen, für Verliebte, für Erregte und Aufgeregte. Die Form des Kreises unter unseren Füßen wirft uns auf uns selbst zurück. Und es hilft beim Denken. Davon schienen zumindest die Peripathetiker, die Anhänger des Aristoteles überzeugt zu sein. Sie lehrten und lernten im Gehen, in einer Wandelhalle, den Kreuzgängen späterer Klöster nicht unähnlich. Die antiken Philosophen hielten den Kreis für ein Sinnbild von Perfektion. Kein Anfang und kein Ende, nicht ein Winkel - oder eben unendlich viele Anfänge und Enden, unendlich viele Winkel. Noch perfekter ist wohl nur die dreidimensionale Entsprechung des Kreises, die Kugel. Aber ein Fußgeher ist nun einmal kein Vogel, er kann bloß Kreise gehen und keine Kugeln fliegen. Das im Kreis Gehen hat etwas wunderbar unzeitgemäßes. Ja, in einer Gesellschaft, die nur fortschreiten soll, dem Wandel um seiner selbst Willen huldigt, ist es beinahe ein Akt stiller Revolution. Bloß darf ich das eigentliche Ziel beim Wandeln nicht aus den Augen verlieren. Denn wo der Kreis zum Selbstzweck wird, zur drögen Routine, gerät er zur Tretmühle, in der sich alles Kreative zerreibt. Daran muss ich manchmal denken, wenn ich die Zeitung aufschlage oder Nachrichten sehe. Ach was, schon wieder ein Koaltionsstreit um die selben Themen, die schon vor zehn Jahren oder vor zwanzig die Lebensrealität der Menschen nicht berührten? Der ganze mediale Blätterwald rauscht nur so davon. Haben wir denn keine anderen Sorgen? Bin ich nicht mehr als ein Hamster im massenmedialen Laufrad? Manchmal erscheint es mir abstrus - als wäre ich mit meinem kleinen Rad in einer kafkaesken Scheinexistenz gestrandet. Die Welt verändert sich und niemand will es wahrhaben. Da ich stets das Selbe sehe, muss ich meinen Blick auf die Dinge verändern um ihnen Neues abgewinnen zu können. Im Kreis gehen, das ist die beste Voraussetzung für Abenteuer im Kopf. Und mit der richtigen Perspektive kann aus dem Aufbruch ins Äußere endlich ein Ankommen im Inneren werden. Autor: Thomas Walach-Brinek Bilder: ©Universität Wien, https://public.univie.ac.at/fotoservice |
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