Als Kind habe ich Spazierengehen gehasst. Jeden Sonntagnachmittag mit der ganzen Familie, diese langweiligen, immer gleichen Wege ohne Hund. Keiner durfte zu Hause bleiben, alle mussten mitgehen. Es war eine Errungenschaft, als ich mit 13 alleine in der Wohnung lesen durfte. Meine Mutter hat mein grantiges Gesicht nicht mehr ertragen. Sie wollte auch nie einen Hund. Oder Schulausflüge mit der ganzen Klasse, ein Albtraum! Ich bin meistens verloren gegangen. Hab mir schon Wochen vorher Ausreden überlegt, dass ich nicht mitgehen musste.
Deshalb gehe ich heute am liebsten alleine, nur mit meinem Hund, das ist eine so angenehme Gesellschaft. Süchtig nach Gehen bin ich geworden, als ich auf Hunde aufgepasst habe, aber die Hunde sind alt geworden und konnten nicht mehr mit mir mithalten. Jetzt habe ich einen eigenen Hund, eine Hündin, eine Quirlige, Temperamentvolle, die mich heraus fordert. Wir gehen fast jeden Tag sehr weit, es kann uns nicht weit genug gehen, aber am Abend wollen wir wieder zu Hause sein, Ophelia in ihrem und ich in meinem Bett. Am liebsten gehen wir durch den Wald, wo keine Autos fahren, wo es steil ist, wo es still ist, wo es viele neue Wege zu entdecken gibt, am besten jeden Tag einen Neuen. Glücklich macht es mich, wenn ich wieder neue Verbindungen zwischen den Wegen entdecke oder wenn mir jemand, der in der Gegend aufgewachsen ist, einen Weg zeigt, den ich bis jetzt immer übersehen habe. So wie gestern zwischen Mostalm und Sofienalpe, einen Trampelpfad, den sonst nur die Reiter benützen oder im Naturpark Purkersdorf, als ich dem Hund nachgegangen und nicht auf dem Naturlehrpfad geblieben bin, da tat sich eine Welt auf: ein steiler Weg mit einer herrlichen Aussicht über das ganze Tal, mit einem Hochwald wie damals über Innsbruck der herrliche Zirbenweg. Das Licht hat die Blätter beleuchtet, die sich zu verfärben begannen. Wir waren ganz alleine, bis uns ein Jogger erschreckt und sich dafür entschuldigt hat. Da gab es auch eine Quelle, das Frauenbrünndl. Das Wasser ist überhaupt das Beste und Wichtigste auf einem Weg, ich trinke aus fast allen Bächen und Quellen, ich umarme die Bäume, wenn mir danach ist. Und am liebsten höre ich statt Autolärm, der sich erst ab einer gewissen Höhe verflüchtigt, vor dem ich flüchte, ein Bacherl rauschen. So muss es im Paradiese sein und ich kann mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen. Ich trage diese Wege in mir und rufe sie ab, vor dem Einschlafen, wenn ich traurig bin, wenn ich etwas hinter mich bringen muss, das ich nicht leiden kann. Da ich nie ohne Kamera aus dem Haus gehe, ergeben sich immer wieder Glücksmomente: wenn Libellen noch im Oktober im Gras kopulieren, wenn eine Blindschleiche auf dem Weg liegt, wenn ein Schmetterling auf einem Blatt sitzt, bei einem bestimmten Lichteinfall oder bei Nebel im Wald. Heute wollen meine Eltern nicht mehr spazieren gehen, ich muss immer lachen, wenn ich sie frage und sie hundert Ausreden finden, um zu Hause bleiben zu können. So schließt sich der Kreis. |
Kategorien
Alle
|