Der Tag ist so grau und trübsinnig, dass ich mich am liebsten wieder ins Bett verkrochen hätte. Da ich aber mit dem Hund spazieren gehen und einen Text für Wild Urb schreiben muss, gehe ich zur Schnellbahnstation Breitensee. Wo wir hingehen, wird sich dann schon zeigen.
Wir steigen bei der Station Krottenbachstraße aus und wollen auf die andere Straßenseite. Gefühlte zehn Minuten wird es nicht grün. "Beschweren Sie sich beim Magistrat! I bin nix neigierig!" meint eine dieser bösartigen alten Damen, die diese Stadt so liebenswert machen. Bei der Brücke über die Schnellbahn durch den Karl Fellinger Park auf die Billrothstraße, an dem schönen Café Billroth mit der alten Schrift vorbei in die Pyrkergasse. In der Pyrkergasse habe ich einmal eine Wohnung mit Bücherregalen bis an die Decke besichtigt, sie war aber viel zu teuer für mich. Weiter auf die Döblinger Hauptstraße und von dort in den Wertheimsteinpark. Thomas Bernhard hat in den BILLIGESSERN geschrieben, dass der Wertheimsteinpark „der schönste, der wichtigste Park aller Wiener Parks“ sei. Eine Übertreibung wie alles, was dieser Übertreibungskünstler geschrieben hat. Ich schaue mir den Krottenbach an, den Rest des Krottenbachs, das ist dieser hübsche Teich neben der Schnellbahntrasse. Der Krottenbach entspringt in Neustift am Walde und ist sieben Kilometer lang, aber seit über 100 Jahren nicht mehr sichtbar. Dann gehen mein Hund Feli und ich in den oberen Teil, wo die Schnellbahn nicht so laut ist, dafür machen 2 Gärtner mit ihrem Traktor einen Riesenkrach. Wer mäht mitten im Winter den Rasen? Beschäftigungstherapie? Wie auch immer, ich bin nervös und brauche Ruhe. Der Hund fürchtet sich vor dem Lärm. Die Nymphensittiche und Wellensittiche im Käfig freuen sich, dass sich endlich jemand mit ihnen beschäftigt. Haben es die armen Vögel jetzt nicht zu kalt im Freien? Wir gehen in den Blindengarten, da ist zwar Hundeverbot, aber es ist niemand da außer noch einer Frau mit einem Hund. Nach einer Runde durch „den schönsten und wichtigsten aller Wiener Parks“ gehen wir zurück auf die Döblinger Hauptstraße. Da befindet sich das Casino Zögernitz und eine wunderschöne und wichtige Buchhandlung, die Buchhandlung Georg Fritsch. Thomas Bernhard war hier Stammkunde. Ich schaue mir die Auslagen an und finde wieder ein Objekt der Begierde: ein neues Buch der berühmten Übersetzerin aus dem Russischen Swetlana Geier, die letztes Jahr gestorben ist. Nach eingehender Betrachtung der Auslagen gehen wir die Döblinger Hauptstraße hinunter zur Straßenbahnlinie 38 und fahren bis zur Endstation Grinzing. Bei der Himmelstraße biegen wir in einen fast unsichtbaren Durchgang zwischen zwei Mauern ein und sind in den Weinbergen, neben uns plätschert der Reisenbergbach. Der Weg heißt jetzt nicht mehr Reisenbergweg, sondern Paula-Wessely-Weg, weil die Dame hier gern spazieren ging. Wir gehen bergauf, bis wir zu einem kleinen Wald kommen. Die Nervosität und der Grant fallen von mir ab und ich bin wieder ganz bei mir. Kurz bevor der Wald aufhört und die Straße beginnt, gibt es einen leicht zu übersehenden Trampelpfad über die Wiese zur Himmelstraße. Dort gehen wir hinauf und weiter durch die Weinberge, es eröffnet sich eine grandiose Sicht über ganz Wien und die Weinberge: BELLEVUE. Schöne Aussicht. „Hier enthüllte sich dem Doktor Freud das Geheimnis des Traums“ steht auf dem Marmorstein, der zur Erinnerung an dieses epochale Ereignis hier aufgestellt wurde. Das Graffito mit dem kleinen Prinzen STILL HAVING A DREAM? ist leider schon wieder entfernt worden. Freud hat im Hotel Bellevue seine Sommerfrische verbracht. Das Hotel wurde in den 50er Jahren abgerissen. Anstelle des Hotels wurde am 6. Mai 1977, an Freuds Geburtstag, dieser Stein enthüllt. Freuds Traumdeutung, Theorie wie Praxis, beginnt mit diesem Traum, den er erstmals gedeutet hat. In einem Brief an seinen Kollegen Wilhelm Fließ fragt er sich, ob dereinst auf einer Tafel stehen werde, dass sich ihm hier das Geheimnis des Traums enthüllte. Die Chancen hiefür seien bis jetzt gering. Wir haben den Stein gesehen und gehen zurück zu den Weinbergen. Weil ich nicht auf der Straße gehen will, verirre ich mich und stehe plötzlich vor einem Abgrund: Das ist der Sieveringer Steinbruch, den ich schon lange suche, weil ich ihn von der anderen, der Erbsenbachseite, immer gesehen habe. Der Steinbruch ist ein Lehrbeispiel für die Flyschzone. „Als Flysch werden Gesteinskomplexe bezeichnet, die zum Fliessen und Rutschen neigen“ steht auf einer Tafel. Da es unmöglich ist, den steilen Hang hinunter zu klettern, müssen wir wieder zurück gehen. Mir ist schon kalt und ich möchte nach Hause. Wir kommen an einem kleinen Teich mit Wasserlinsen vorbei und stehen vor einem Tor, das zu einem hübschen Spielplatz führt. Vielleicht ist das ja ein Spielplatz für Erwachsene, weil er mir so gut gefällt? Es gibt ein Pfahlhaus, eine Regenbogenrinne und eine lange steile Rutsche. Durch den Spielplatz kommen wir zum Gspöttgraben, da gibt es ein Heim für Behinderte. Sie stellen Lavendelhonig, Lavendelsirup und andere gute Dinge her, die du einfach kaufst, indem du Geld in eine Kiste legst und dir selber aussuchst, was du haben willst. Der Gspöttgraben ist ein sehr steiler Weg neben einem Bach, da gehen wir jetzt hinunter. Es gibt auch eine geheimnisvolle Höhle. Betreten leider verboten! Ich konnte nicht herausfinden, wie der Bach wirklich heißt, auf der Tafel steht nur Gspöttgraben. Dafür gibt es hier einen kleinwinzigen Wasserfall oder sogar mehrere. Wir gehen noch die Sieveringer Hauptstraße hinunter, vorbei am Café Nest, dem Denkmal für die Gans Lili und einer alten Weinpresse, dann biegen wir in den engen Blanche Aubry Weg ein, der uns zurück zur Krottenbachstraße führt, wo wir in die Schnellbahn einsteigen. Autorin: A. Fink |
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