Anna Maria Krassnigg zeigt uns den salon5. Ein Theaterclub im Herzen des 15. Bezirks. Solche Clubs gibt es nicht in jeder Stadt – in Wien gibt es einen, in New York gibt es sie auch.
Als ich mit meinem Sohn in New York war, hab ich keinen dieser Theaterclubs besucht. Wir standen am Times Square. Ich fragte ihn, ob er sich eine Show am Broadway anschauen möchte. Die Menschenschlange am Ticketschalter war lang. Ich wollte ihm die Welt zeigen. Zumindest einen kleinen Ausschnitt dieser verrückten Welt, dort in dieser verrückten Stadt. Er aber meinte: »Nicht nötig, hier ist eh alles Show«. Wie Recht er damit hatte. Hier im 15. Bezirk im »salon5« hat man ebenso einen Einblick in eine andere Welt. Anna Maria Krassnigg spricht im UrbTV - Beitrag von dieser Welt, die sich von so manch anderer Wiener Welt abhebt. Weil der 15. Bezirk – ich habe es schon einmal erwähnt – ein ganzes Universum an Besonderheiten bietet. Der salon5 befindet sich in der Fünfhausgasse 5 in einem wunderschönen Gebäude. Der Besitzer ist Dr. Thomas Haffner, ein Kulturfreund und großzügiger Mensch mit Lebensart, den das völlig heruntergekommene Gebäude so sehr fasziniert hat, dass er es vor 10 Jahren wieder aufgebaut und liebevoll renoviert hat. Er wollte eine Brutstätte der unkomplizierten, aber atmosphärischen Art für Kreative aller Richtungen ermöglichen. Das Kunstarchiv »basis wien« zählt z.B. zu den Nachbarn des salon5. Den Namen »brick5« hat das Gebäudeensemble aufgrund der Ziegelbauweise der alten Erbsenschälmühle erhalten. Dieser bedeutende Teil des 15. Bezirks war früher die Hauptmeile des vorstädtischen jüdischen Lebens in Wien. Dazu gehört auch die Herklotzgasse, die Reindorfgasse, die Sechshauserstraße bis zur Arnsteingasse. Oben in der Reindorfgasse befindet sich das Wirtshaus Quell. Ein Wiener Wirtshaus, mit besonderem Flair und gutem Essen. Krassnigg weiß, dass Poldi Quell, der frühere Besitzer, es immer zu verstehen wusste, interessantes Publikum anzuziehen. Es kamen vor allem Theaterleute und Studenten dorthin. Selbst Kurt Ostbahn hat ein Buch geschrieben, welches von diesem Ort hier handelt (Blutrausch). Die Wiener Stadtzeitung Falter schrieb vom »besten Gulasch Wiens«. Die Frau vom »Quell« war dafür verantwortlich. Heute wie damals, auch wenn Poldis Frau nicht mehr dort kocht und Poldi selbst, bereits in wohlverdienter Rente, nicht mehr grummelnd nachfragt, ob man alles habe, lohnt es sich zum »Quell« zu gehen und vielleicht ergattert man ja sogar den beliebten Platz neben dem Kachelofen. Und dann erzählt Anna Maria Krassnigg vom armen jüdischen Viertel und von den Menschen, die es trotz ihrer Armut sehr wohl verstanden, zu leben, zu denken und ihre Feste hier zu feiern. In der ehemaligen Erbsenschälmühle, dem heutigen »salon5 im brick5«, wird wieder gefeiert. Das Publikum wird in eine Welt entführt, eine Welt der Musik, der Geschichten, sogar des Films, immer sehr nahe am Publikum. Eine Welt, die so in dieser Form von anderen Theatern nicht angefasst wird. Hier kann man ein kleines Stück New Yorker – gemischt mit wien-jüdischem Flair genießen. Daniel Kehlmann, Autor des Buches »Die Vermessung der Welt« meinte bei einem Besuch im salon5, er hätte nicht gedacht, dass es mitten im 15. einen so »newyorkerischen« Ort gäbe. Interessant sind im Hinterhof des Gebäudes die Buchstaben über der Türe: Turn-Halle, denn hier wurde sogar in den wildesten Kriegs- und Vorkriegszeiten noch geturnt, man hat sich getroffen, Menschen fanden Rat und Trost. Es wurden Briefe gefunden, in denen Menschen von auswärts, den Menschen hier Fragen stellten wie: Wie geht es euch? Turnt ihr noch? Die Autorin des Buches »Nachricht vom Verlust der Welt« Inge Rowhany, fand hier bei Recherchearbeiten zu ihrem Buch durch Zufall das letzte Viertel der Auswanderungskartei der jüdischen Kultusgemeinde. Anna Maria Krassnigg ist für Regie und künstlerische Leitung des salon5 verantwortlich, und arbeitet ausserdem noch seit 1999 als Rollenlehrerin und Gastprofessorin für Regie am Max-Reinhardt-Seminar. Sie verrät uns im UrbTV-Beitrag, dass sie es als Luxus empfindet, zu Fuß zu gehen. Sie genießt es von Tag zu Tag mehr, sich die Zeit dafür zu nehmen, in diesem anachronistischen Tempo, dass das Gehen ja heute darstellt, die Stadt als Universum zu erleben. Man kann sich in abgelegene Gegenden begeben, die man sonst niemals sehen oder wahrnehmen würde. Die Stadt wird groß und man muss sich nicht mehr darüber beschweren, dass Wien keine Weltstadt ist. Denn beim Gehen kann man sie sich ergehen, die Weltstadt. Veranstaltungsprogramm salon 5: www.salon5.at Verein zur Förderung multimedialer Kunst und Technik: www.brick-5.at |
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