Oft spielt das Leben verrückt. Wir gehen Wege im Leben, die wir uns so nie auszumalen trauten. Es gibt steile Stellen und Stolpersteine und manchmal gehen wir im Kreis oder wir verlaufen uns, ehe wir wieder auf den richtigen Weg finden. Und rückwirkend betrachtet kommt uns vor, als hätte schon alles seinen Sinn, so wie es kommt. Ich möchte euch hier eine wilde Lebensgeschichte von einem Mann erzählen, den ich bis vor Kurzem noch gar nicht kannte und der aber in Windeseile mein Herz erobert hat. Seit ich denken kann, erzählte man mir, er würde gar nicht mehr leben.
Mein Onkel K. lebt! Das weiß ich seit ca. 1 Jahr. Damals habe ich mich nach ihm auf die Suche gemacht und ihn in Meaux gefunden. Das ist eine Gemeinde mit ca. 50.000 Einwohnern in der Region Ile de France ca. 40km östlich von Paris. Die Stadt lebt hauptsächlich als Markt der Region Brie von der Milch-, Käse- und Viehproduktion. Und der Käse, den man dort kaufen kann, ist wirklich eine wilde Sache. Wild in dem Sinne, dass man plötzlich ziemlich viel Platz hat in der Metro. Denn der Käse ist ein echt olfaktorisches Erlebnis ;-) Jeden Samstag wird der gesamte Kern von Meaux verkehrstechnisch abgesperrt, um für die Marktstände Platz zu schaffen. Durch die Strassen von Meaux zu gehen gibt einem das Gefühl, als würde man durch eine mittelalterliche Stadt ziehen. Hinter jedem Haustor befindet sich eine eigene kleine Welt. Es finden sich überall Spuren aus einer anderen Zeit, fast wie in einem riesigen Freiluftmuseum. Im Zentrum von Meaux ist alles mit Kopfsteinplaster ausgelegt. Was mich auch noch faszinierte, waren die massiven Holzbalken, die man in die Mauern eingelassen hat, um die Bauwerke vor dem Verfall zu schützen. Das gibt dem gesamten Stadtbild so ein bisschen ein Flair von Schutz und Sicherheit. Als mein Onkel K. vor 20 Jahren nach Paris kam, war er Bettler und hat auf der Straße gelebt. Er ist so wie ich in Saalfelden aufgewachsen und spricht inzwischen fließend französisch. Wenn er aber mit mir deutsch spricht, hat er immer noch diesen liebenswerten und mir ach so vertrauten pinzgauerischen Dialekt. Wenn mich mein Onkel durch Paris führt, zeigt er mir die wildesten Gegenden. Er zeigt mir, wo er geschlafen hat und erzählt mir dabei Geschichten, die ich gerne einmal als Buch veröffentlichen würde. Irgendwann kam der Winter, hat er mir erzählt und dann wurde es so richtig kalt und grauslich. K. hat 10 Jahre als Bettler gelebt. Irgendwann hat er einen Deutschen kennengelernt. Der hat ihm geraten, in den umliegenden Ortschaften betteln zu gehen, weil es in Paris selbst so viel Konkurrenz gab. So nahm er den Zug und fuhr aus der Stadt hinaus. Fand in Meaux ein verlassenes Bauernhaus und zog dort ein. Nun begann er sich zu organisieren. Er fuhr täglich mit dem Zug zu Zeiten, wo die Zugsschaffner gerade auf Mittagspause waren und nicht kontrollierten zu den umliegenden Orten, wo er überall einen fixen "Standplatz" hatte. Jeden Tag war er in einem anderen Ort. Nur in Meaux bettelte er nicht, denn dort wohnte er ja. Mein Onkel hat mir erzählt, dass er in den 10 Jahren auf der Straße nicht einmal direkt um Geld gebettelt hat. Er meinte: „Wenn du die Leute mit deinem Schmäh zum Lachen bringst, dann hast du schon gewonnen.“ Heute lebt K. mit seiner Freundin in einer kleinen Wohnung in Meaux. Er arbeitet seit vielen Jahren für eine gemeinnützige Gesellschaft namens Les Bouchons d`Amour. Und zwar ohne dafür einen Euro zu bekommen. Was er genau macht? Er sortiert Bouchons, also Deckel von Plastikflaschen. Das macht er in einem riesigen Keller, der ihm dafür von der Eigentümerin des Hauses kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Hier liefern die umliegenden Gemeinden in alten Postsäcken ihre gesammelten Bouchons ab und K. sortiert alles brauchbare von Unbrauchbarem Mist, den die Leute manchmal versehentlich mit wegwerfen. Da hat mein Onkel schon die skurrilsten Dinge gefunden, wie zum Beispiel ein Gebiss, OB`s, Spritzen, Handys, Fotoapparate oder einfach nur Sammelbilder von Fussballstars. Einige dieser Skurilitäten bewahrt er auf Regalen im Keller auf – siehe Foto. Die aussortierten Bouchons werden dann in einem riesigen LKW nach Belgien gebracht und es werden daraus wiederverwendbare Plastikpaletten für Industrie und Handel gepresst. Mit dem Geld, dass die Organisation dafür bekommt können Schulen, Rollstühle oder ähnl. Dinge finanziert werden. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, was die ganze Geschichte in mir ausgelöst hat, oder? Ich habe Respekt und Hochachtung vor so viel Lebensmut und Courage. Und als mir mein Onkel sagt, dass er glücklich ist darüber, dass ich in sein Leben gekommen bin, habe ich das erste Mal seit langem so ein wärmendes Gefühl von Familie in mir gespürt und das macht mich glücklich. |
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