Ich mag Friedhöfe. Das ist nicht alleine meinem leicht morbiden Charakter geschuldet, nein, sie üben seit Kindertagen eine eigenwillige Faszination auf mich aus, der ich mich bis heute nicht entziehen kann. Ich gehe von zeit zu zeit ganz gerne und da mir das Zusammentreffen mit wochenendlich grotesk gekleideten Nordic Walkern und schwatzenden Wandervögeln ein Graus ist, suche ich an diesen Tagen gerne den einen oder anderen Friedhof auf. Denn da ist bis auf ein paar ruhige, meist ätere Herr- und Damschaften unter Garantie niemand anzutreffen, der mich in meinem schweigsamen Tun stören könnte.
Der Döblinger Friedhof ist mir da ein liebes Ziel, denn anders als am Zentralfriedhof, der ja an Schönheit in Wien kaum zu überbieten ist, handelt es sich hier um einen eher unspektakulären, aber dennoch nicht weniger reizvollen Ort. Er ist mir gut bekannt, da der Großteil meiner Familie dort unter der Erde liegt und ich diesen Gottesacker an den üblichen Tagen abstrus pflichtbewussten Ahnenkultes im Laufe der Jahrzehnte mehr als oft besuchen musste. Diese Tage waren mir verhasst, denn „müssen“ ohne rechten Sinn dahinter Erkennen zu können, ist bei mir so eine Sache. Mit Horden ebenfalls Pflichtgedenkender über einen meist unangenehm windigen und kalten Friedhof zu latschen, um an den Gräbern mir in meiner Kindheit völlig unbekannten Personen auszuharren, bis Lichter entzündet und Kränze abgelegt waren, empfand ich als absolute Zumutung. Und da mich die mir völlig unbekannten Ahnen nicht im geringsten interessierten, interessierte ich mich für die anderen Gräber, die ich, wie die der verblichenen Anverwandten nicht schon zig mal gelangweilt angestarrt hatte. Da war z.B. die übernächste Ruhestädte eines am 12. Februar 1934 erschossenen Schutzbündlers, welches mein Interesse weckte. Es war anders als die anderen Gräber. Nicht mit meist scheußlichen Kränzen vollgeräumt und auch kein Kreuz zierte den mit Efeu bewachsenen Felsbrocken der dort stand, sondern Plaketten mit roten Nelken und einem Kreis mit drei nach links unten gerichteten Pfeilen. Dieser Ruhestätte eines offenbar wenig gottesfürchtigen Mannes, war wie die anderen liebevoll gepflegt, aber eben anders. Ich war damals vielleicht 5 oder 6 Jahre alt, und kannte die geschichtlichen Hintergründe nicht, aber mein Vater erklärte sie mir auf mein Fragen und plötzlich begann mich dieser langweilige Ort zu interessieren. Hinter all diesen Toten steckten Geschichten! Andere als die, die ich über meine verstorbenen Ahnen bereits hunderte Male gehört hatte. Und seither schritt ich zwar immer noch wenig begeistert, aber doch mit etwas mehr Aufmerksamkeit durch die Gräberzeilen. Mein Vater ist ein mir wenig sympathischer, aber kluger Mann und er wusste zu vielen Grabstätten Geschichten zu erzählen und irgendwann begann ich an ruhigen und wenig besuchten Tagen solche Orte selbst aufzusuchen. Gehend und betrachtend, Namen lesend und aus der Gestaltung und den Inschriften auf den Grabsteinen Geschichten zu erahnen. Meist unmöglich selbstverständlich, doch manchmal finden sich wahre Kleinode liebevollen Gedenkens. Und dann stelle ich mich davor und betrachte diese schönen, oft schon verfallenen Stätten letzter Ruhe. Ich selbst möchte ja niemals eingesargt und eingegraben werden. Mir schwebt da anderes vor: In einen gläsernen Sarg soll man mich stecken und in irgendeinen Fluss werfen, an dessen Ende ich als morbide Flaschenpost, den Strömungen der Meere folgend, irgendwann an ein entferntes Gestade gespült, man mir, dem Unbekannten, eine Pyramide errichten soll, in der mein getriebener Geist vielleicht endlich ewige Ruhe finden wird. „Or I may simply be a single drop of rain But I will remain And I'll be back again, and again and again and again and again...“, wie einst Johnny Cash gesungen hat. Auch das wäre eine durchaus akzeptable und elegante Lösung für eine Sache, die mich früher oder später, uns alle ereilen wird. Text und Bilder: F. Stampach |
Kategorien
Alle
|